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Ist Dieter Bohlen der Ché Guevara der jungen Generation? 

Die Kinder von „No-Logo“ und Dosenpfand

 

„Every Generation has a story to tell“ (Motto des Films "Alice´s Restaurant")

"Meine Kinder sollen es mal besser haben" avancierte zur stehenden Redewendung der Wirtschaftswundergeneration, die damit den Generationenvertrag formulierte und sich zugleich für eigene historische Fehlleistungen freizeichnete. Zugegeben, wer Auschwitz und Stalingrad hinter sich gebracht hatte, ohne es wirklich hinter sich zu bringen, hatte gute Gründe, auf eine bessere, geschichtsentsorgte Zukunft mit Rentengarantie zu offen.

Jede neue Generation ist die Wunschprojektion der vorhergehenden und dafür hat die ältere regelmäßig einen Preis zu zahlen. Gegenwärtig den, in einer Renten-Dystopie zu enden, die alle Träume von einer gerontophilen Gesellschaft Schäume werden lässt. Doch niemand will so richtig wahrhaben, dass er das falsche Leben im falschen führt. Hätte man so oder eleganter formuliert, in einer Zeit, in der die Formulierungen mindestens so wichtig waren wie die Taten. In den Sechzigerjahren wollte die spätpubertierende Kriegsgeneration nicht wahrhaben, dass das draußen auf den Straßen ihre eigenen Träume in seltsamer Verkleidung aufmarschierten, um "Ho, Ho, Ho-chi-Minh" zu skandieren. Einer aus der Generation der Unverbesserlichen drückte sein Unverständnis über die APO-Generation damals so aus: Warum denn die Polizei mit Wasserwerfern auf die Gammler-Demonstranten losginge, wenn doch allein Flammenwerfer das probate Mittel wären. Die späten Sixties waren eine heiße, sehr heiße, eine politisch-pyromanische Zeit mit vorzüglicher Eignung, eine Generation auf ihren historischen Auftrag festzulegen: Napalm in Vietnam, brennende Kaufhäuser im Westen. "Burn, warehouse, burn", um mit der Globalisierung des Schreckens Ernst zu machen. Ja so war das damals: Spontan, anarchisch, agitatorisch blöde bis hin zum hyperideologischen Hartbeton, der die Generationen nicht weniger schlecht als jene Mauer in Berlin voneinander trennte. Die Kinder der Straßenkämpfer, Freaks, Gammler, Hippies wurden folgerichtig Banker, Berufslangweiler, Versicherungsangestellte, weil das Risiko "Zukunft" so am besten zu versichern ist, wenn die Weltrevolution doch nur Umstände macht, für die dann schließlich keiner aufkommen will. Die Kinder des antiautoritären Kinderladens wurden wundervoll angepasste Zeitgenossen, die nach dem fröhlichen Chaos nichts mehr von sich hören ließen und in der Versenkung ihrer historischen Bedeutung so schnell verschwanden, wie sie aufgetaucht waren.

Das Pathos früherer Generationen, die Welt neu zu erobern, um doch meist schnell in den Vorstädten der Behäbigkeit und des Begehrens zu scheitern, ist dahin. "Épatez le bourgeois", Bürgerschreck zu spielen, macht nur solange Spaß, solange Bürger in dumpfen Rudeln auftreten und ausreichend politisch erregbar sind. Seinerzeit gab es eine Werbung für "Canadian Club", einen Whiskey, der als politisch avancierter Trunk weltoffener Menschen gefeiert werden sollte und den die Spießer unter röhrenden (deutschen?) Hirschen selbstredend degoutierten. Heute gibt es keine Spießer mehr, die solche feinen Distinktionen verfeindeter Generationen am Tapetenmuster oder der Naht der Schlaghose entlang eröffnen. Ohnehin ist der öffentliche Raum weitgehend wieder zu den Formen des korrekten Außerparlamentarismus übergegangen. Heutige Gewerkschaftsdemos mit professionell vorfabriziertem Demo-Ausrüstungen erinnern allenfalls von ferne an jene folkloristischen Trachtenumzüge einer ganzen Generation mit Parkas, Jeans, Lammfelljäcken, später bei den Anti-AKW-Happenings im politischen Chic der Zeit - alles selbst gehäkelt einschließlich der Theorie, soweit es überhaupt eine gab.

Was früher die Kommune oder die politisch korrekte Wohngemeinschaft war, sind heute cum grano salis Mailing-Listen, Chats, News-Groups und Blogger - mit dem unvergleichlichen mikropolitischen Fortschritt, dass in virtuellen Lebensgemeinschaften niemand mehr spülen muss und jeder sein eigenes "wallpaper" besitzt - also nicht gezwungen ist, seine joints unter den tausend Augen von Commandante Ché zu rauchen. Dafür gibt es jetzt Bushs Antivision einer sauberen, unbefleckten Generation vorehelich sexuell abstinenter Amerikaner, die weiß, wann und wo es patriotisch zur Front, wenn schon nicht zur Lust geht. Das neopuritanische Amerika, das vorehelichen Geschlechtsverkehr perhorresziert, ist fünfunddreißig Jahre, also Lichtjahre von Haight Ashbury, Flowerpot Men und promisken Hippies zwischen Easy Rider und Manson Familiy entfernt. "Gentle People" mit und ohne dope sind auf dem amerikanischen Campus längst vergessen. Da, wo früher schon mal die Nationalgarde für Ordnung sorgen musste, tummeln sich heute neokonservative Aktivisten und schwadronieren von "conservative leadership".

Welches Branding sollen wir der Generation der 15- bis 25-Jährigen nun aufdrücken? Die Generation Golf hat ihre Logifizierung schon hinter sich, eine Generation, die sich als Packungsbeilage, Bedienungsanleitung, irgendwie langweilig bis überflüssig, beschreiben lässt. Und wäre sie nicht beschrieben worden, hätte diese Generation wohl keiner bemerkt. Überhaupt die Label-Wut, jeder Zeitgeist-Autor hofft, sein Generationen-Etikett möge ihn in den Beststeller-Listen verewigen, möge Scharen von „Gebrandeten“ zu Käufern ihrer selbst werden lassen. Die Soziologie der Generation war immer von höchst zweifelhaften Wert, zumeist nicht mehr als eine Projektion von kürzester Halbwertszeit: Generation Neunzehnhunderttraurig, Flakhelfer-Generation, Skeptische Generation, Generation X, Generation@, Generation XTC. Sollte der freizügige Gebrauch der Vokabel "Generation" ein kategorialer Missgriff sein, nicht mehr als ein Versuch, Zeitgenossen allein wegen ihrer Jugend über einen ideologischen Kamm zu scheren?

Jean-Luc Godard sprach „folgenschwer“ von den Kindern von Marx und Coca-Cola, einer schizoiden Generation zwischen Klassenkampf und Konsum. Spannt man das Spektrum heute ähnlich weit auf, erleben wir die Kinder von "No Logo" und Dosenpfand. "No Logo" ist indes höchst logo-verdächtig, wie ohnehin alle aufrechten politischen Instinkte jederzeit bereit sind, in ihr politisch korrektes Gegenteil umzuschlagen. Das heißt dann Reifewerdung. Aus Straßenkämpfern werden Chefdiplomaten. Die Zeit heilt nicht nur Wunden, sondern verkleistert auch Ideologien bis zur Kenntlichkeit. Wollten die 68er die Menschen und vor allem sich selbst verändern, schreiben die Kids heute die Programme um, nicht die politischen, sondern jene, aus denen der Stoff der virtuell-technischen Träume ist. Wenn man schon nicht die Gesellschaft ändern kann, dann wenigstens ihren Techno-Code - und wer weiß, vielleicht ist das ja der richtige Umweg in die bessere Gesellschaft. Die 68er hatten den mentalitätsgeschichtlichen Vorteil, an den Verbrechen der Väter so richtig leiden zu dürfen, ohne dass je diese Leiden nicht aushaltbar gewesen wäre. Es war ein Leiden mit persönlicher Zukunft, während heute der Spaß kollektiven Blödsinns zukunftslos bleibt. Wer heute als Junggenerationsangehöriger Vater und Mutter fragt: "Und wo warst Du?" Was hört der schon? "Auf Mallorca, am Malochen." "Und wo warst Du, als George W. Bush gegen den Terror kämpfte?" „Wo soll ich schon gewesen sein?“ „Vor dem Fernseher, im Solarium“. Das ist geschichtsloser Stoff, aus dem man keine eigene Identität und schon gar nicht den für eine ganze Generation gewinnt.

Früher gab es Ché Guevera, heute gibt es Dieter Bohlen. Beide woll(t)en nichts als die Wahrheit und sub specie aeternitatis sind die vordergründigen Differenzen also kein Unterschied, der einen Unterschied macht. Commandante Ché predigte das revolutionäre, also authentische Leben, um im Kampf gegen die Unterdrückung der „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon) erfolgreich zu sein, auch wenn es ihnen wenig bis gar nicht geholfen hat. Bohlen macht zumindest aus einem kleinen Teil der Verdammten authentische Superstars, bevor sie in die Verdammung zurück müssen. Irgendwann muss Küblböck auch offiziell zurück in das Purgatorio der Kakofonie, dem er nie entschlüpft ist. Bei Bohlen besteht die Wahrheit im Wesentlichen darin, dass einer zugibt, der zu sein, für den ihn ohnehin jeder hält. Das ist medienlogisch so authentisch wie unhintergehbar, da die Differenz „Authentisch/Nichtauthentisch“ in Medien nicht zählt. Es gibt nur noch wahres Leben im virtuellen. MTV, VIVA, Playstation, Nintendo, Unreal, Counter Strike... Die Generation der Giga-Gamer und Giga-Glotzer wächst ja weniger mit Menschen als mit virtuellen Helden auf. Das ist zwar nicht völlig enttäuschungsfrei, aber - gottlob - berechenbarer als der Umgang mit realen Zeitgenossen.

Und wo bitte schön, geht es da zur schrumpfenden Wirklichkeit? "Studien und Armutsberichte belegen, dass Armut zunehmend ein Problem der jungen Generation ist", meinte Anne Frohnweiler auf dem 16. Parteitag der DKP in Darmstadt im Jahre 2002. Conclusio für die Jugendforscher der DKP: "Sozialismus oder Barbarei". Wer es bei solchen ehernen Wahrheiten belässt, braucht wenigstens über generationsbedingten Mitgliederschwund nicht länger nachzudenken. Richtig lautet das Motto: „Kohle oder Barbarei“. Oder mit Alfred Grosser: "Und heute gibt es ein ganz echtes Problem der jungen Generation. Jedes Schuldenmachen der älteren Generation auf dem Rentengebiet ist eine neue Last für die zukünftige Generation die heute jung ist. Das ist ein ethisches Gerechtigkeitsproblem in der Politik." Das zu lösen, den Zirkel der Gerechtigkeit in der Politik zu quadrieren, sollte aber noch erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als einer Generation zur Verfügung steht.

Goedart Palm  

 

 

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