Wie viel elektronische Zukunft verträgt der deutsche Beamte?
"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter stehen. Das deutsche
Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen." Spätestens seit Tucholskys Ermittlungen
gegen den selbstreproduktiven Beamtenapparat wird es auch literarisch aktenkundig, dass
hinter dem Schalter omnipotente Beamte ihres staatstragenden Amtes obwalten.
"Amt" geht auf das keltische Wort "ambactos" zurück und bedeutet so
viel wie "Diener". So dient der Beamte dem Staat, aber ob er auch dem Bürger
dient, wird jeder anzuzweifeln wagen, der pedantischen Ressortegoismus und
Formularfetischismus je am eigenen Datenkörper erlebt hat. Die Vision bürgernaher
Verwaltung hat sich von der alltäglichen Obrigkeitsverwaltung des Bürgers bisher
vornehmlich in den kommunalpolitischen Programmen der Parteien erfolgreich absetzen
können.
Wird morgen alles besser? Verwandelt sich der Beamte medientechnologisch
bald in einen freundlichen Avatar, ganz nach Tucholskys frecher Feststellung: "Beamte
sind heute Maschinenware geworden". Oder avanciert der nervige Digitalassistent zum
Doppelgänger des vormaligen preußischen Oberamtmanns: "Bitte wiederholen Sie Ihre
Eingabe, auch die Datenfelder 23 a 29 müssen ausgefüllt werden." Spätestens
seit diversen Robotermärchen weiss man ja, dass hochintelligente Rechner für menschliche
Fuzzylogic, sprich: schlampert vorgetragene Gesuche, auch nicht viel übrig haben.
Aber so weit darf es nach Peter Heesen vom Deutschen Beamtenbund
(http://www.dbb.de/) erst gar nicht kommen. Der stellvertretende Vorsitzende des DBB warnt
vor Arbeitsplatzverlusten durch den Ausbau der elektronischen Rathäuser. Nach Heesen sei
es gar ein "gefährlicher Trugschluss", dass mit dem Einsatz moderner
Informations- und Kommunikationstechnologien ein weiterer Abbau von Stellen und die
Einsparung von Personal einhergehen könne. Tucholsky hatte also auch insoweit Recht:
"Denn nichts verzeiht der Beamte so wenig wie den Vorwurf, er sei mit allem, was er
da treibe, gänzlich überflüssig. Er ists aber".
Trotz elektronischer Beschleunigung könnte die Staatsverschlankung aber
in der Tat trügerisch sein, weil sich Beamte nach Parkinsons Erkenntnis wundersamerweise
selbst vermehren. Nicht die Aufgaben begründen die Verwaltung, sondern erst umgekehrt
wird daraus ein steuergeldintensives Arbeitsprogramm. Ein eleganter Algorithmus, der dem
erfolgreich begegnete, ist noch nicht erfunden. Elektronische Beschleunigung führt nicht
zwingend zu Stellenkürzungen, weil auch der "Echtzeitzugriff" auf die Akte
längst nicht die Prozeduren des deutschen Verwaltungsverfahrens erledigt. Elektronische
Speicherwut kennt bekanntlich keine Grenzen und so wie die Chips immer kleiner und
leistungsfähiger werden, werden die Archive immer größer. Und überm Datenwust der
gläsernen Bürger walten und schalten dann menschliche Inspektoren: "Wir wollen
keine Personalvermehrung, sondern eine aufgabengerechte Personalausstattung," meinte
Heesen angesichts der "stillen Revolution". So heißt das also. Auch
E-Government respektive E-Office sprengen noch nicht automatisch die vom
Verwaltungsjuristen Niklas Luhmann ermittelte System-Umwelt-Differenz, aus denen die
"Systemrationalität", vulgo: der Amtsschimmel laut wiehert.
Die Vorstellungen von Neuseelands Ministerpräsidentin
Helen Clark sind dagegen optimistisch: Neuseelands E-Government (http://www.e-government.govt.nz/) soll "so schnittig und hochtechnologisch werden
wie die Yachten, die uns den Gewinn des Americas Cup eingebracht haben". Hier zu
Lande dürfte die Vision des sportiven Digitalbeamten, der durchs elektronische Archiv
surft, noch Unglauben auslösen. Im Land der Kiwis soll der Bürger dagegen nur noch auf
einen "Schalter" treffen, der alle Begehren entgegennimmt. Die fröhliche Stimme
"Sie rufen außerhalb unserer Öffnungszeiten an" ist dann genau so passé wie
die multiplen Bittgänge von einer Behörde zur nächsten, bis sich wider jede
Wahrscheinlichkeit der Schaltkreis zum begehrten Verwaltungsakt in einer fernen Zukunft
schließt. Hinter Neuseelands elektronischem Regierungsportal werden die diversen
Behörden voll vernetzt: Staatliche Dienstleistung zum Sofortverkehr! Ganz so gläsern und
aquadynamisch-demokratisch könnte es gleichwohl nicht zugehen, wenn im Land der Maoris
nicht zugleich "the digital gap" zugeschüttet wird. Gute Vorsätze hat man:
Neuseeland wird in der Hauptstadt Wellington ökonomisch und digital Minderbemittelten den
nötigen Online-Unterricht, gesponsort von Fujitsu, spendieren, damit jeder wisse, wie er
die Staatsdiener per mouseclick in die Gänge bringt.
Wenn also der Staat so elektrodemokratisch wird, wird vielleicht auch
E-Voting, in Neuseeland für 2005 anvisiert, schon bald direktdemokratische Verhältnisse
vorbereiten. Dann fehlt eigentlich nur noch eins: Das gehaltsstufenbegründende
Online-Ranking des Bürgers für "seine" Beamten, damit sie sich auf den
keltischen Ursinn ihrer Position wieder besinnen mögen.
Goedart Palm
(Dr. Goedart
Palm praktiziert als Rechtsanwalt im Arbeitsrecht
und befasst sich auch dort mit Fragen des Arbeitsalltags in seinen
diversen rechtlichen Facetten - Arbeitsvertrag,
Mobbing, Kündigungsschutz,
Aufhebungsvertrag,
Direktionsbefugnis
- sowie mit Problemen der Betriebsverfassung)
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