Walter Benjamin (Magic Urban)

Magic Urban Walter Benjamin

Warum Walter Benjamin?

 

Philosophen, so wird gesagt, haben eigentlich nur einen Gedanken. Dieser Gedanke wird unablässig gedreht und gewendet, formuliert und reformuliert und wenn er gut ist, ist der Lohn ein Eintrag in der „hall of fame“. Unterscheidet sich Walter Benjamins verästeltes Denken nicht gerade von diesem emphatischen Monismus, wenn er in der Moderne für intransigent gehaltene Ideen auch dann nicht aufgibt, wenn ihre Vermittlung alles andere als gewiss ist oder sogar anrüchig wird. Einer Mediengesellschaft fällt es schwer zu denken, dass die allfällige Vermittlung der Welt auch scheitern könnte – und sei es nur, weil das Mängelwesen „Mensch“ nicht welthaltig genug ist. Selbstbezüglich bis ironisch geriet ihm der Vergleich einer allseits gewitzten, mit allen Wassern gesegneten Philosophie mit dem berühmten Schachtürken, der als Automat erschien und im Inneren einen zwergwüchsigen Meisterspieler versteckte: „Gewinnen soll immer die Puppe, die man ´historischen Materialismus´ nennt. Sie kann es ohne weiteres mit jedem aufnehmen, wenn sie die Theologie in ihren Dienst nimmt, die heute bekanntlich klein und hässlich ist und sich ohnehin nicht darf blicken lassen.“ Philosophie für technoide Schachspieler heißt also, die Lehre von überraschenden Kombinationen einschließlich des messianischen Endspiels wider ihre modischen Fixierungen neu zu denken.

 

 

 

Es gibt bei Walter Benjamin und das demonstriert Palmier sehr schön, eine höchst eigenwillige Lektüreliste, die sich vielen Diskussionen der damaligen Zeit verschließt. So interessieren ihn die Neokantianer nicht, die Universitätsphilosophie hat bei ihm keinen prominenten Stellenwert  und selbst die philosophische Beziehung zu Marx, Engels et alii ist nicht so intim, wie einige Begeisterungen Benjamins für diese weiland so unvergleichlichen Zugriffen auf die Geschichte signalisieren könnten. Benjamin ist deswegen als Denker attraktiv geblieben, weil er zahlreiche Pole für sein Denken schafft. Hier gerät  die Spannung zwischen ihnen dynamischer als bei diversen zeitgenössischen Philosophen, die dann etwa in den Sog des Seins des Seienden geraten und ein Fetischobjekt der Philosophie zeugen, von dem nicht bekannt ist, wie es erlösungstechnisch probat anzubeten ist. Ohnehin liegt hier das Geheimnis philosophischer Produktivität. Die Wahrheit ist nicht überzeitlich um einen Gedanken herum zu fixieren.  Die postklassische Wahrheitsliebe demonstriert sich vielmehr als Risikogeschäft, das mit vielen Denkfiguren betrieben eine bessere Chance hat, wenigstens vorübergehend plausibel zu sein.  

 

 

Walter Benjamin ist – paradox formuliert - kein dogmatischer Parteigänger seiner Gedanken geworden. So sind seine Optionen, ohne je in die Beliebigkeit abzurutschen, nie von der Angst geprägt, Kohärenzen da prätendieren zu müssen, wo sie einer materialistischen Theorie unabdingbar erscheinen. Das Passagenwerk ist daher nicht Fragment geblieben, weil das Leben in das Werk eingriff, sondern weil es unter den konkreten Bedingungen nicht zu einem Ende gebracht werden konnte. Wer Lumpen sammelt, muss mit eigenartigen Kollektionen leben. So mag es sein, dass der „Kreuzpunkt von Magie und Positivismus“ wie Adorno fand, „verhext“ sei, aber das ergibt sich nicht nur aus den Ingredienzien einer jener Zeit ungenießbaren Mischung, sondern aus Benjamins Risikobereitschaft als Denker. Denn längst würden wir nicht mehr Adorno Glauben schenken, dass alleine Theorie den Bann bricht, sondern viel eher Benjamin folgen, dessen Werk weder die fatale Zuspitzung marxistischer Kategorien vollzieht noch auf die provokante, sperrige Faktizität der Gegenstände verzichtet. Hier wird der Hinweis Palmiers wichtig, dass Benjamin diesen Zugriff der Theorie auf das Fundstück, das Fragment, die Monade oder den „Lumpen“ durchaus als gefahrbringend ansah, die Dinge zum Verstummen zu bringen, ihre „Inkommensurabilität“ zu liquidieren. Adornos Geschichts- und Kunstinterpretationen erscheinen in all ihrer Feingliedrigkeit doch oft genug wie Schaustücke einer philosophischen Risikovermeidungsstrategie, die im Vollzug ihrer Methode höchst kommensurabel auftritt, während Benjamins heterogene „Lumpensammlungen“ ihren erratischen Charakter nicht leugnen. Das „Passagenwerk“ bleibt das beste Beispiel eines fruchtbaren Scheiterns, das darin zum Beweis der Methode und ihrer längst nicht eingelösten Wahrheit wird. Die Totalität der Welt wird von den Fragmenten und Monaden in Abrede gestellt, die aus unterschiedlichsten Gründen (noch) nicht von der Kritik gerettet wurden. An dieser Stelle bleiben metaphysische respektive messianische Hoffnungen bestehen, die sich nicht auf ein reines Dasein als kritische Instrumente bescheiden können. „Wahre Versöhnung gibt es in der Tat nur mit Gott“, heißt es in dem Essay zu den Wahlverwandtschaften. Insofern hat Benjamin, auch und gerade in seiner Auseinandersetzung mit kulturellen wie technischen Erscheinungen der Massengesellschaft eine offenere Wahrheit präsent als diverse Ansätze der kritischen Theorie, die sakrosankt das einfordern, was sie zuvor historisch endgültig ratifiziert hatten. Hier liegt der genuine Grund für die weiter bestehende Aktualität Walter Benjamins, die sich in einem Werk einlöst, das zahlreiche, auch ambivalente Anschlussstellen bereithält, um selbst von ihm nicht antizipierte Umstände mit der spezifischen Diskursivität des Benjaminschen Denkens zu erfüllen. Auch und gerade nach dem Werk Palmiers wird es so bleiben, dass jeder seinen eigenen Benjamin haben darf und dieser Denker viele Figuren gleichen Namens neben sich duldet. Denn in der vorliegenden Darstellung wird Benjamin nicht unwiderruflich in eine von vielen Geistesrichtungen, die mit diesem Autor assoziiert werden können, verräumt, um dem Biografen ein ephemeres heuristisches Erlebnis zu verschaffen, ohne in der nächsten Aktualisierung zu überdauern. Palmier operiert biografisch, wandert über die Hauptachse „Ästhetik und Politik“ und lässt sich von den allegorischen Figuren Benjamins leiten, um eben diese auch zu deuten. „Gerade jedoch weil Gewinn und Verlust eines solchen Denkens inzwischen, nach Jahren der Apologie, viel kritischer betrachtet werden, hätte der Interpret sich vor der allzu lange geübten Praxis hüten müssen, Benjamin selbst mit seinen allegorischen Gestalten zu identifizieren“, merkt Wolfgang Matz allerdings zu Recht in der FAZ an. Im Gegensatz hierzu scheint uns aber nicht die „Entmythologisierung und strikte Historisierung Benjamins“ einer weiteren Forschung zuvörderst angelegen sein zu müssen, sondern die Frage, ob das geschichtsphilosophisch und dialektisch produktive Verhältnis Benjamins zu den Dingen nicht eine seltene Kunst ist, die unter veränderten Auspizien ihren eigenen Geltungsanspruch behält. An Stelle der Aktualisierung Benjamins und philologischer Eitelkeiten der Interpreten wäre die Lektüreerfahrung eines gewitzten Denkers als Versprechen und Anregung zu bewahren, in diesen und anderen Zeiten der eigenen historischen Wahrnehmung und ihren Idiosynkrasien mehr zu vertrauen als großer Theorie. So mögen im Übrigen immer wieder neue Passagen zu diesem Werk und seinem Bewohner gesucht werden, das somit schon im Blick auf seine eigene Rezeptionsgeschichte seinen Anspruch einlöst.

 

Goedart Palm

 

Passagenwerk Walter Benjamin

 

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Copyright. Dr. Goedart Palm 1998 - Stand: 01. Mai 2018.