Der
phallische Medienzar
Gibt es ein Geheimnis
hinter der unheimlichen Machtfülle Berlusconis? Sicher nutz(t)en auch
andere Medienherrscher wie Axel Cäsar Springer oder Rupert Murdoch ihre
publizistische Macht über manipulationsbereite Massen, um politische
Entscheidungen zu forcieren. Aber die königliche Personalunion von
staatlicher und privater Macht, die Berlusconi immer weiter ausbauen
konnte, blieb ihnen verwehrt.
Zumindest muss man dem
italienischen Ministerpräsidenten attestieren, mehr als nur ein
Medien-Tycoon zu sein. Erst Baulöwe, dann transnationaler Medienzar,
beschloss Berlusconi 1992, Politiker zu werden. Hintergrund war es, sein
Medienimperium vor Schwierigkeiten zu bewahren, die Linke bzw. Demokraten
dem Medien-Tycoon wegen seiner dubiosen Machenschaften hätten bereiten können.
Die Prozesse, in die Berlusconi verwickelt war, in denen es wieder und
immer wieder um Schmiergelder, Meineid, illegale Parteifinanzierung und
alle übrigen Delikte ging, die einer Demokratie sauer aufstoßen, sind zu
zahlreich, um sie hier alle zu rekonstruieren.
Seine politische Macht
wird maßgeblich durch die Kontrolle der drei größten, ihn permanent
umschmeichelnden Privatsender verstärkt und seit 2002 versucht er auch,
die staatlichen Rundfunkanstalten "RAI" in seine Hand zu kriegen
(
Berlusconi: Herrscher über die öffentliche Meinung
sowie
Berlusconi und die italienischen Medien). So sehr er alle Register einer manipulierbaren Mediendemokratie gezogen
hat, um daraus eine auf ihn zugeschnittene Medienautokratie zu machen,
beruht seine politische Karriere auch auf seinem persönlichen Charisma.
Einem höchst gefährlichen
Charisma der Macht
: Ein smarter, musisch talentierter, kommunikativer und charmierender
Selbstverkäufer, solange man ihn nicht reizt.
Hans Magnus Enzensberger
berichtet, Italiener hätten ihn über Berlusconis Machtrezept so aufgeklärt:
"È molto fallico". Er ist also phallisch, ein italienisches
Alpha-Tier wie Mussolini oder Craxi. Dass die Masse immer noch dem
Machteros das masochistische Votum erteilt, ist für das Selbstverständnis
von Demokratien schlimm genug. Hitlers Wissen um den
geschlechtsspezifischen Zustand der verführbaren Massen scheint sich noch
nicht überall herumgesprochen zu haben.
Godfather
of irony
Der italienische
Medienpolitiker hat gegenwärtig Grund genug, sich über "die
Deutschen" zu ärgern, nachdem er im martialischen Look als "Der
Pate" auf dem letzten SPIEGEL-Cover öffentlich gebrandmarkt wurde.
Der SPIEGEL hat's ihm gegeben, nachdem Berlusconi Interviews ablehnte. So
wurde das hässliche Bild eines Medienstars, Medienzars, eines
Machtunionisten gezeichnet, der mindestens im mafiosen Zwielicht steht,
wenn nach den Provenienzen seiner Macht und seines Reichtums gefragt wird.
Die Geldquellen des reichsten Manns Italiens sind bis heute so
geheimnisumwittert, dass es kein echtes Geheimnis mehr ist. In Italien dürfte
es jedenfalls schwer sein, reale politische und wirtschaftliche Macht in
diesem Ausmaß zu erwerben, ohne mehr oder minder intime Berührungen mit
der Mafia zu haben.
Aber nicht nur die dunklen Quellen seiner Macht sprechen gegen ihn. Das
besorgt Berlusconi inzwischen auch schon selbst. Mit der Attacke auf den
stellvertretenden Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament,
Martin Schulz, über dessen Schauspieler-Tauglichkeit als KZ-Scherge (Kaput Lager) hat er einen neuen rhetorischen Diskursstil vorgestellt, der bisher im
Europa der Nachkriegszeit zumindest auf der politischen Chefebene etwas in
Vergessenheit geraten war. Nun handelte es sich bei dem
Besetzungsvorschlag nach des Potentaten eigener Auslegung nur um eine
Ironie, eine "scherzhafte", fehlinterpretierte Bemerkung. Selten
so geschmunzelt! An den Maßstäben gewisser Boulevard-Blätter diesseits
und jenseits der Alpen gemessen mag die Suada geradezu feinsinnig gewesen
sein, wenn man großzügig über den Inhalt der Bemerkung hinwegsieht.
Nur, warum sollte man? Liegt es nicht im Sinngehalt der Ironie, das
Gegenteil von dem zu meinen, was man sagt. Doch meinte der Repräsentant
italienischer Kraft und Herrlichkeit es je anders, als er es sagte? Folgt
man weniger den artistischen Wegerklärungen des italienischen Ministerpräsidenten
griff er einfach nach jenem altbewährten, antiteutonischen
Schlagwerkzeug, das unterhalb der Gürtellinie des jeweiligen Gegners
landen soll.
Das alles hat er nun
Kanzler Schröder, der auf eine Entschuldigung drängte, "erklärt",
um die Nazi-Verbalkeule nachträglich noch abzupolstern - ausdrücklich
aber nicht zu "entschuldigen". Doch nun fliegt dem schon mal als
Solopianisten improvisierenden Patriarchen sein eigenes Instrument wie ein
Bumerang um die Ohren, weil außerhalb Italiens "mussolinieske"
Gesten weniger populär sind. Schulz hält Berlusconi ohnehin nicht für
satisfaktionsfähig und so hat auch diese Verbalinjurie vor allem den
Beleidiger selbst getroffen.
Ausrutscher hin oder her -
dafür kann sich Europa in einer Phase, die politisch genügend Probleme
birgt, nichts kaufen. Dem demokratischen Paten ist die ungeteilte
demo-autokratische Macht offensichtlich längst ins Herrscherhirn
gestiegen, obwohl er doch selbst Grund genug hätte, darüber
nachzudenken, ob er für seinen eigenen Politikstil nicht auch auf
historische Referenzen verweisen könnte.
Alteuropäische
Sumpflandschaften der Demokratie
Nicht nur Silvio
Berlusconis macht-narzisstischer Sex-Appeal und seine Overkill-Rhetorik,
sondern mindestens ebenso die öffentliche Auseinandersetzung mit ihm ist
inzwischen zum Medienphänomen der Extraklasse avanciert. Dieses Interesse
liegt keineswegs allein in der illustren Person und ihren Machenschaften
selbst, als vielmehr in der Provokation der Demokratie durch ein verkörpertes
Machtkartell, das sich in der nicht gerade skandalarmen Geschichte der
Liasion von Medien und Politik einzigartig darstellt.
Längst ist man sich jenseits der Berlusconi-Bastionen in Italien darüber
im Klaren, dass diese Machtkumulation aus Politik und Medien mit einer
Demokratie unvereinbar ist. Die "girotondisti" protestierten vor
allem vehement gegen Berlusconis Gesetzesinitiativen, deren letzte ihn mal
wieder vor einem Korruptionsverfahren wegen Richterbestechung geschützt
hat. Mit dem nicht gerade als Europafreund bekannten Absolutisten sollte
aber allen Europäern klar werden, dass die Idee der Demokratie auch im
abgeklärten Alteuropa noch erheblich entwicklungsfähig ist.
Warum gibt es
Kartellverbote in der Wirtschaft, wenn die Kartellisierung, ja übergreifende
Monopolisierung von Politik und Wirtschaft durch ein mehr als törichtes
Votum des Wählers legitimiert werden kann? Medienmacht in diesem Ausmaß
und politische Macht sind ausnahmslos inkompatibel. Dieses Wissen kann
nicht nur als entschuldbarer Irrtum des Wählers klein geredet werden: Es
ist in jede demokratische Verfassung einzumeißeln. Ob nun Forza Italia
oder Forza Americana - Demokratie muss Machtteilung und
Interessenausgleich bleiben, aber kein Medien-Monopoly, wo einer solange
private Sender kaufen oder staatliche unterwandern kann, bis er auch die
vierte oder fünfte Gewalt im Staat noch kontrolliert, die doch gerade ihn
kontrollieren soll.
Mindestens ebenso schwer
wiegt der Vorwurf, dass allgemeine Gesetze auf die legislativen
Initiativen des Regierungschefs hin zu schlecht kaschierten
Einzelfallregelungen mutieren. Damit wird das, was früher als Korruption
und Nepotismus angeprangert wurde, nun als demokratisch integerer
Gesetzgebungsvorgang geadelt.
Juristischen Ärger gibt
es in Italien für den großherrlichen Ministerpräsidenten seit Anbeginn
seines Marsches auf das römische Parlament. Die "linke"
italienische Justiz - in Berlusconis Augen ohnehin "golpisti"
(Umstürzler) - flickt ihm am Leder, zumindest versucht sie es, wenn auch
ohne nennenswerten Erfolg. Mit juristischen "Spitzfindigkeiten"
kann man diesen mächtigen Mann mächtig provozieren, der bei Gericht
Dauerkunde ist, da seine unternehmerischen Umtriebe sich seit je der härtesten
Bandagen bedienten und seine zahlreichen Helfer und Helfershelfer diversen
Zeugenaussagen nach intime Kontakte zur Unterwelt pflegten. Seit Juni 2003
sind nun die regierenden Funktionäre gegen staatliche Strafverfolgung,
gegen die Justiz, das "Krebsgeschwür" (O-Ton Berlusconi) durch
die "Lex Berlusconi" immunisiert. Das heißt im Klartext, dass
der Regierungschef bis zum Ende seiner Amtszeit im Jahr 2006 praktisch
nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden kann und danach ereilt ihn im
Zweifel die Gnade der Verfolgungsverjährung.
Es ist ein weiterer Beleg
des ironischen Feinsinns Berlusconis, ausgerechnet die Vertreter des
Rechtsstaates als Umstürzler zu etikettieren. Berlusconi wurde der
Mitgliedschaft in der Propaganda 2 (P 2), einem reaktionären,
gewaltbereiten Geheimbund gegen "linke Bazillen" verdächtigt.
Diese Dunkelmännervereinigung soll nun gerade mit der putschistischen
"Strategie der Spannung", mit Bombenanschlägen, mit öffentlichkeitswirksamen
"shock-and-awe"-Aktionen, einschließlich diverser Terrormaßnahmen
anlässlich des G 8-Gipfels in Genua - versucht haben, Italien wieder auf
den rechten Weg der Tugend zu zwingen.
Und was hat Berlusconi,
der Gegner der juristischen Umstürzler, damit zu tun? Gar nichts! Der
will seine verräterische Mitgliedskarte in diesem Geheimbund selbst
ernannter Staatsschützer gleich nach Erhalt in den Papierkorb geworfen
haben. Doch vom Geist dieser faschistoiden Geheimzirkler ist das
offizielle Nichtmitglied etwa anlässlich seiner imperialen Rede nach dem
11.September keinen Steinwurf weit entfernt. "Der Westen wird
weiterhin Völker erobern, so wie es ihm gelungen ist, die kommunistische
Welt und einen Teil der islamischen Welt zu erobern, aber ein anderer Teil
davon ist um 1400 Jahre zurückgeblieben." (Banken., Börsen, Berlusconi)
Wehrhafte
Demokratie ist gefordert
Berlusconi darf nun als
EU-Ratspräsident
einige Monate lang europäischer Chefpolitiker spielen. Bekanntlich
erwirbt nach Nicolo Machiavelli ein Fürst durch nichts so viel Achtung
wie durch "große Unternehmungen und aufsehenerregende Taten".
Und das ist für den Patriarchen auch inzwischen wichtiger denn je, wenn
er seinen in Italien untergehenden Stern vielleicht doch wieder auf den
Erfolgskurs alter Macht und Anerkennung bringen will.
Doch sein Entree als europäischer
Ratsvorsitzender entspricht just den schlimmen Befürchtungen, die bereits
im Vorfeld seiner Präsidentschaft laut wurden. Europa sollte jetzt die
Gelegenheit wahrnehmen, den Zampano zu bändigen und nicht das umgekehrte
Spiel dulden. Denn hier geht es weniger um die Einsichtsfähigkeit des
Egokraten Berlusconi, sondern um eine politische Kultur, die sich nicht
nur wehrhaft gegen Terroristen zeigen sollte, sondern mindestens ebenso
die eigenen schweren Betriebssystemfehler zur Agenda machen muss.
Berlusconis Dauerkrieg mit
der italienischen Justiz mag ihn letztlich vor Strafen schützen, aber die
politische Quittung für seine Spiele mit der blinden Justitia sollte er
irgendwann erhalten. Und der erste Teil dieser Quittung wurde ihm bereits
bei den Kommunal- und Regionalwahlen ausgestellt, die den
Regierungsparteien deutliche Verluste bescherten.
Der große Ökonom in
eigenen Angelegenheiten hat keine nennenswerten Verdienste für die
Wirtschaft Italiens zu verbuchen, sondern lediglich riesige Schuldenberge.
Auch im italienischen Renten-, Gesundheits-, und Arbeitsmarktwesen sieht
es marode aus. Die "bella figura", die Berlusconi schon mit
einer einzigen Bemerkung als EU-Ratschef ramponiert hat, ist auch in
Italien längst dahin. Das Macht-Medien-Modell Berlusconi könnte also
schließlich doch mit der "remote control" des Wählers
weggezappt werden, weil schließlich nur der Programmwechsel den Standards
einer echten Fernsehdemokratie entspricht.
So verläuft das Ende
vielleicht doch etwas anders, als es den Belehrungen des Fürstenberaters
Machiavelli entspricht: "Denn der Pöbel lässt sich durch den
Augenschein und den Erfolg bestechen, und in der Welt gibt es nur Pöbel..."