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Informationskriege - Information Warfare - Cyberwar
Was zurzeit in den kategorialen Weichformen medialer
Selbstreflektion als "Information Warfare", "Netzkrieg" oder
"cyberwar" firmiert, gilt als die militärlogische Überbietung alter
Aufklärungs- und Desinformationsstrategien, die dem harten Schlagabtausch vor-, nach- und
beigeschaltet werden. Die Informationskriegsgeschichte ist zwar nicht jünger als der
Krieg selbst, aber Medien und Informationen umkreisen ab jetzt nicht nur den Krieg,
sondern werden selbst als genuine Waffen in das Arsenal von Angriffs- und
Verteidigungswaffen integriert. Der Krieger verändert sich zum medienkompetenten Auguren,
der die Geheimnisse der Digitallogistik mindestens ebenso gut beherrschen muss wie die
vormaligen logistischen Wahrheiten klassischer Militärstrategien. Anders wird er nicht
siegreich sein. Annäherungsweise wurde "cyberwar" als militärische Operation
gegen die Informationsstruktur des Feindes beschrieben, während "netwar" alle
Kampfformen außerhalb bewaffneter Auseinandersetzungen bezeichnet - aber schon vernetzen
sich beide Formen zu einer kriegerischen Infosphäre, die klassische Kriegsszenarien als
atavistische Konflikte mit nur erdenschwerer Bedeutung weit hinter sich lässt. Der
Infowar löst sich aus der Differenzierung zwischen militärischen und ziviler
Machtausübung. Nach dem Institute for the Advanced Study of "Information
Warfare" (IASIW) handelt es sich um den offensiven und defensiven Gebrauch von
Informationen und Informationssystemen, um die des Gegners auszunutzen, zu täuschen, zu
korrumpieren oder zu zerstören und zugleich die eigenen zu schützen.
Folgenreich verändert
sich das Bild der Medien, sie seien die humane Gegenmacht der Aufklärung des
Menschengeschlechts gegen die Irrationalität des Krieges, im begehrlichen Zugriff des
Militärs. Der Militärkritiker Ekkehart Krippendorff definierte das Militär noch unter
dem Eindruck des Golfkriegs als antipodisches Gegenstück der Aufklärung. Aber in der
Ära des expansiven "Informationskrieges" wird das Gegenteil richtig. Der
Begriff der Aufklärung war schon je antinomisch: Einerseits der vernunftrationale
Königsweg für den Ausgang des selbstgewissen Subjekts aus der Unmündigkeit,
andererseits das zweckrationale Wissen um die Bewegungen des Feindes. Aber ist nicht die
militärische Totalaufklärung der Informationskrieger der souveränste Akt
zeitgenössischer Welterschließung, seitdem die durch eine mehrtausendjährige
Philosophiegeschichte diffus dekonstruierte Vernunft und ihre Wahrheitsderivate ohnehin
nicht länger einlösbar erscheinen? Virilio hat die technische Revolution, die von der
Informatikbombe ausgelöst wird, als "die babylonische Verwirrung des individuellen
und kollektiven Wissens" bezeichnet. In diesem Menetekel erhält sich noch der
Begriff einer den Medien vorgeordneten Wahrheit, die zwar im telematischen Rauschen
untergehen mag, aber noch zu ermitteln wäre. Mit dem spätmodernen Informationskrieg
scheint aber mehr als die Verseuchung der Logosphäre verbunden zu sein. Es könnte die
Finalisierung der abendländischen Vernunftgeschichte zur endgültigen Demontage ihres
Wahrheitsbegriffs werden. Theoretiker des Infowars sprechen von semantischen und
epistemologischen Angriffen, die die Wahrheit gegen virtuelle Realitäten austauschen oder
völlig außer Kraft setzen. Die Kritik der Urteilskraft hat in diesen Kriegstheatern kein
Auftrittsrecht mehr. Das Maß an Entropie, dem Gesellschaften auf Grund solcher Störungen
der Wahrheit ausgesetzt sind, könnten radikaler sein als es klassische Kriege je waren.
Epistemologische Marshallpläne, die das beschädigte Vertrauen in die Wirklichkeit wieder
herstellen, sind schon deshalb schlecht vorstellbar, weil Wahrheit keine beliebig
restituierbare Größe ist.
Kognitive
Kriegsführung
Dass Wissen Macht ist,
ist den Militärs spätestens seit Sun Tzu (ca. 400-320 v. Chr.) bekannt, der die Kenntnis
des Gegners und der eigenen Vernichtungspotenzen zur Voraussetzung erklärte, in hundert
Schlachten erfolgreich zu sein. Aber dieser Kriegsweisheit werden erst jetzt Mittel zur
Verfügung gestellt, die die kognitive Durchdringung des Gegners bis ins Mark
gewährleisten.
Zur Quadriga
kognitiver Kriegsführung wurde die Vernetzung von "Command, Control, Communication,
Computer and Intelligence" (C4I). Die vornehmlich in den Vereinigten Staaten
propagierte Militärdoktrin des "Information Warfare" schreibt zwar damit
zugleich Zielsetzungen klassischer Kriegsinformationspolitik fort. Zentral wird aber der
Glaube, die Informationsherrschaft sei nicht nur eine Unterstützung der Kriegsführung,
sondern zugleich als Kampfform geeignet, Konflikte endgültig zu entscheiden. Die
Forderung nach Informationsdominanz reicht erheblich weiter als die klassische
Feindaufklärung, sie wird sowohl integraler Bestandteil des Waffenarsenals als auch
Endziel der Auseinandersetzung. Aufklärung über den Feind und Verbergung eigener
Strategien verbinden sich zum Ideal der Wahrnehmungshoheit. Als exemplarisch für die neue
Wahrnehmungskriegsführung gilt etwa die Vernichtung des irakischen C3I-Systems, um das
Aufklärungswissen des Gegners zu zerstören und ihn ungeschützt Angriffen auszusetzen.
Der Feind wird geblendet, sein Bewusstsein paralysiert, seine "mind-map"
durchkreuzt. Ab jetzt ist der sensorische und kognitive Apparat wertvolleres Terrain als
die Orte realer Feindpräsenz. So kann klassische Hardware in die zweite Schlachtlinie
rücken, weil nicht länger isolierte Vernichtungskapazitäten, sondern ihr
informationstechnologisch effizienter Einsatz zentral wird. Biblisch gesprochen ist der
Informationsdavid mit der Datenschleuder allemal gefährlicher als ein blindwütiger
Goliath der puren Vernichtung, wie etwa die hilflosen Luftabwehrschläge im Golf- und
Kosovokrieg erwiesen haben.
Aber Informationen
sind mehr als zielgenaue Projektile. Daten sind virtuelles Plutonium, aus dem
flächendeckende Informationsbomben generiert werden, die jede Wirklichkeitskonstruktion
bis weit in ihre zivilen Grundfesten hinein erschüttern können.
Waffen sind zwar selbst nach dem klassischen Begriff Informationen, die eindrücklichsten In-Formationen, die menschliches Handeln bestimmen können. Der neue Waffentypus löst sich von der Materialität und und zielt auf die totale Manipulation des perzeptiven Apparats. Zuletzt behält doch Bischof Berkeley
zumindest im herrschaftsgeladenen Reich der Virtualität Recht: "Esse est percipi aut percipitur". Mit anderen Worten: Das Sein in der Infosphäre manifestiert sich in der Wahrnehmung, daneben wird der Realismus des Körpers zur Schwundstufe der Existenz - seine Vernichtung ein "Kollateralschaden"
des postklassischen Krieges. Schon zuvor hatte Mao Tse-Tung das Ziel des "Psychological Warfare", den Geist des Gegners zu lädieren, als vorrangig gegenüber seiner realen Zerstörung angesehen.
Vom Blitzkrieg zum
Wahrnehmungskrieg
Wellingtons
Stoßseufzer "Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen" belegt
paradigmatisch, dass Zeit von je her ein zentraler Faktor der Kriegsführung war.
Kriegsgeschichte wird zugleich als die Historie technologischer Beschleunigung
geschrieben.
Wir beobachten einen
militärischen Paradigmenwechsel, wenn die Instantanität von Wahrnehmung, Entscheidung
und Exekution in einer logischen Sekunde zusammenfallen können. "Situational
awareness" und "top-sight" verbinden sich zur Strategie dieses
Kriegsideals: "Den Feind sehen, heißt ihn zugleich zu vernichten". Der
exekutive Gewinn der "situational awareness" liegt zunächst im höheren output
bei gleichzeitiger Minimierung menschlicher Beteiligung. Aber nicht nur strategische
Raumdeckungen während der heißen Phase, die umfassende Schlachtfeldtransparenz, sondern
auch personalaufwändige Besetzungen des Feindgebiets durch nacheilende Schutztruppen
können digitaler Supervision anvertraut werden. Zukünftige Nachkriegsschauplätze werden
in bester Orwellscher Tradition der Wahrnehmungssouveränität von Satelliten und web-cams
unterliegen.
Somit begründet
weniger der digital rekonstruierte Blitzstrahl des Zeus als Vision der neuen Wunderwaffe
den paradigmatischen Umbruch spätmoderner Militärkonzepte, sondern die operationale
Neuorganisation der Kampfszenarien. Modellkriege werfen immense Anforderungen an
Komplexitätsverarbeitung und -reduktion auf, die systemtheoretisch als Autopoiesis der
Kriegsführung verstanden werden können. Bei schwierigen Entscheidungsprozessen haben
Sozialexperimente erwiesen, dass zirkuläre Organisationsstrukturen ein höheres Maß an
Effizienz besitzen als Kopf-Körper-Modelle. Geringerer Autoritätsdruck und instanzielle
Verteilung des Entscheidungsproblems machen stellen solche Systeme als krisenfester und
handlungsstärker dar. Galt das Militär zuvor als härteste Hierarchie, verwandeln sich
im neuen Kriegsmanagement Armeen zu schlagkräftigen Lernunternehmen. Im Blick auf die
Seeschlacht bei den Midway-Inseln hat Warren McCulloch die paradigmatische Umwandlung
einer klassischen Hierarchie in eine Heterarchie beschrieben. Nachdem die japanische
Flotte das gegnerische Flaggschiff frühzeitig versenkt hatte, war die amerikanische
Flotte auf wechselnde Kommandostellen angewiesen. Zum Befehlshaber der Armada avancierte
der jeweils aus besten Perspektive das Schlachtgeschehen beobachtende Kapitän. Die
panoptische Dezentralisation der Verantwortung führte zur Vernichtung des Gegners trotz
des Verlustes der eigenen Führung. Kriegsglück und -götter werden ab jetzt durch
Rückkoppelungs- und Reaktionsgeschwindigkeiten ersetzt. Kommandogewalt wird zur
allgegenwärtigen Herrschaft des feedbacks, das Jimi Hendrix ante litteram bereits als
elektronische Gestalt des "star-spangled-banner" denunziert hatte.
Je mehr Transferzeit
für Informationen und Übermittlungsverluste entstehen, umso reduzierter sind Anpassungs-
und Überlebensmöglichkeiten. Danach entwertet die Digitalisierung der Planung zunehmend
klassische Kommandostrukturen. Joseph Weizenbaum hat im führungsintensiven Bereich des
Militärs die Enteignung des Menschen aus der Entscheidungsverantwortung beobachtet.
Generäle beklagen ihre Bedeutungslosigkeit gegenüber digital berechneten
Entscheidungsgrundlagen, die nur noch den deklaratorischen Vollzug der
"Entscheidung" eröffnen. Hier steckt die Aporie einer Informationsherrschaft,
die menschliche Entscheidungsautonomie der Herrschaft der digitalen Zauberlehrlinge
unterwirft, um - nicht allzu kühnen Extrapolationen nach - schon bald postbiologische
Protagonisten in die Schlacht zu werfen.
Von der Täuschung zur
Virtualisierung der Virtualität
Die Spiralen von
Aktion und Reaktion schieben sich in virtuellen Szenarien in unabsehbare Höhen, die
klassische Schlachtmanöver mit eindeutigen Begegnungskoordinaten eindimensional
erscheinen lassen. Virtualität ist keine unvollkommene Wirklichkeit zweiter Ordnung,
sondern ein multidimensionaler Viele-Welten-Raum, dessen Wirklichkeitshorizonte in Zukunft
nicht weniger valide als klassische Wirklichkeitskonstruktionen sein werden. Mit anderen
Worten: Die Welt potenziert sich, ohne den diskreten Unterschied zwischen Realität und
Virtualität in einer zukünftigen Ontologie noch länger fixieren zu können.
Danach muss auch die
Virtualität schon bald nach Virtualitäten erster, zweiter und folgender Ordnung
unterschieden werden, um noch eine Orientierung der Kämpfenden zu sichern. Virtuelle
Kriege ohne Bodenhaftung machen den Krieg selbst zum n-dimensionalen Kriegsspiel, freilich
ohne den agonalen Charakter simulieren zu müssen. Agonie bleibt auch trotz der
amerikanischen Medienkriegslehre des "zero-death" - der Tod ist ausgeschlossen,
zumindest in den eigenen Reihen - ein Ziel in der Vernichtungspalette. Distanzschläge
bieten vornehmlich den militärpsychologischen Vorteil, den Akteuren keine mimetische
Beteiligung am Tod des Gegners mehr abzuverlangen. Der emotionale Vorteil liegt auf der
Hand: Der Gegner minimalisiert sich zur Informationsgröße auf dem Monitor, nicht realer
als das in Computerspielen ubiquitär residierende Böse. Dem blutleeren Monitor mögen
die ungehörten Schreie der Opfer korrespondieren, aber diese haben keine exponierte
Bedeutung mehr in der Schlacht.
Die bisherige
Täuschungsgeschichte des Krieges wird unendlich überboten, wenn Simulationsszenarien in
cyberspace wie Zwiebelschalen abgeblättert werden müssen, ohne leichtfertige Hoffnung,
das Kerngehäuse gegnerischer Präsenz je zu finden.
Mit semantischen
Angriffen auf Sensoren eines Systems, bleiben seine Funktionen scheinbar intakt, weil
allein die zu Grunde liegende Realität als Berechnungsgröße manipuliert wird. Beispiel
wären künstlich produzierte Umweltkatastrophen, die etwa Versorgungswerke lahm legen,
die sich automatisch im Katastrophenfall abschalten.
Die Decodierung
feindlicher Botschaften, etwa Turings berühmte Entschlüsselung der deutschen
Chiffriermaschine "Enigma", konnte noch darauf vertrauen, dass hinter der
Verschlüsselung ein operational verwertbares Wirklichkeitswissen über den Feind stand.
Ein militärischer Turing-Test, der in Zukunft danach fragen würde, ob das Gegenüber
eine reale Bedrohung sei, kann sich in fortgeschritten Cyberszenarien in infiniten
Rückgriffen verlieren. Nicht nur holografische Schreckensgebilde, sondern auch feindliche
Codes können leere Datenhülsen sein, die Datenverarbeitungskapazitäten blockieren und
ins Nirgendwo führen. Virtuelle Kriege werden im "Nebel" und
"Rauschen" geführt, Informationsweizen und Datenspreu liegen dicht beieinander.
Hier begründet sich die Aporie, dass der Beschleunigung von Datenverarbeitungen ein
Datenoutput gegenübersteht, der zukünftigen Temporalstrukturen von Kriegen nicht
prognostizieren lässt. Omnipräsenter Informationshunger droht wieder in blindwütigen
Aktionismus zu verfallen, wenn allein das Gesetz des Handelns zur taktischen Not im
Datenrauschen wird.
In der Extrapolation
zukünftiger Simulationskriege wie etwa "Gibson-warfare" werden die Kämpfe nur
noch Computern und virtuellen Gegnern anvertraut, die von den Parteien als legitimes
Ergebnis anzuerkennen wären. Freilich ist das letztlich eine pazifistische Vision eines
legalistischen Krieges, eines digitalen Schachspiels fairer Kontrahenten. Gegenüber den
Eskalierungsspiralen des "Information warfare", die weit über die vormaligen
Totalisierungen der Krieges hinausreichen, handelte es sich um Visionen, die Cyberspace
zum Reservat menschlicher Aggressivität reduzieren, um der Wirklichkeit den ewigen
Frieden zurückzugeben.
Politik als
Krieg
Während die neue
Zerstörungsdoktrin vorgibt, alte Konzepte mit Infobomben, intelligenter Munition oder
panoptischer Aufklärung zu verbessern, folgt sie längst Logiken, die aus alten
Kriegsordnungen endgültig ausbrechen. Im Kurzschluss politischer und militärischer
Operationen wird das tradierte Nachfolgeverhältnis von politischer Willensbildung und
Militäreinsätzen aufgelöst. Dabei geht es nicht nur um den Pluralismus friedlicher und
kriegerischer Durchsetzungsformen, sondern um eine integrierte Kampfform, die noch keinen
bekannten Namen trägt. Kants Vision des ewigen Friedens wird durch die Möglichkeit des
ewigen Krieges überboten, der sich lautlos und latent vollzieht, ohne mit
Fanfarenklängen und in der Uniformierung des Schreckens eine globale Öffentlichkeit in
humane Alarmbereitschaft zu versetzen. Der ubiquitären Verbreitung von Informationen und
propagandistischem Sperrfeuer korrespondieren Auseinandersetzungen, die relativ
unbeobachtet in den digitalen Nervenbahnen des Netzes stattfinden.
Krieg oder Frieden?
Wer wollte das überhaupt noch unterscheiden, wenn politische und militärische Gewalt zu
einer subkutanen Konfliktform verschmelzen, die ihr Zerstörungswerk dissimuliert, ohne
dadurch an destruktivem Potenzial zu verlieren. Vollends aporetisch für die tradierte
Unterscheidung von Krieg und Frieden wird ein herrschaftsorientierter Pazifismus, der
seine unfriedlichen Absichten maskiert.
Die
informationstechnologische Verminung des gegnerischen Terrains zielt auf die
Entmedialisierung des Gegners. Aber dieser Kampf beschränkt sich nicht auf militärische
Positionen, sondern will den Gegner auch in seine zivilen Erscheinungsformen letal
treffen. Die Anwendungsfelder sind bekannt: Zerstörung von Telekommunikationsystemen,
elektronischer Nachrichtenmedien oder ökonomischer Strukturen von Börsen und Banken. Im
"Hacker Warfare" können etwa imaginäre Transaktionen Folgeschäden auslösen,
die denen eines atomaren Schlags nicht nachstehen. Erst jetzt wird klar, dass die
Schreckensformel des "totalen Kriegs" weit über seine heiße Blut- und
Bodenwahrheit hinausreicht, sich auf sämtliche Infrastrukturen des Gegners bezieht, die
seine Lebensfähigkeit bedingen.
War Feindaufklärung
zuvor Pionieren und Meldern als der Vorhut anvertraut, ist mit dem "Infowar" die
Stunde von Hackern, Datenfreibeutern und Desinformationspiraten gekommen, die in fremde
Daten- und Informationsgelände eindringen. Die Homepage der NATO etwa war zeitweise wegen
eines "Ping-Bombardements" nicht mehr einsatzfähig. Mit Datenanfragen werden
Systeme und Server überlastet, bis sie kollabieren. Clifford Stolls voreilig
pessimistische Beschreibung der "Wüste Internet" bewahrheit sich zumindest in
den Detonationen von E-Mail-Bomben mit Mehrfachsprengköpfen, die den Verkehr lahm legen.
Gefährlicher als Datenstau ist die digitalbiologische Kriegsführung mit Viren, mit denen
etwa jugoslawische Hacker der "Schwarzen Hand" den totalen Krieg gegen
antiserbische Propaganda führen. Die Netzguerilla kompensiert mit Mail-Bomben und
"Ping-Bombardements" militärische Schwächen auf dem vormaligen Feld der
Ehre.
Überlegene
Informationsherrschaft wird in Zukunft propagandistisch formulieren können: "Bella
gerunt alii - wir informieren!" Der franzöische Militärstratege Beaufre hat schon
1963 Strategie auf jedes kommunikative Handeln ausgedehnt, das in der Dialektik
antagonistisches Willens den Gegner von der Aussichtslosigkeit des Kampfs
überzeugt.
Wenn Konflikte in der
Infosphäre entschieden werden können, wäre jede andere Munition Verschwendung wider den
kapitalistischen Geist ökonomischer Herrschaft. Dabei scheint William Peacocks Einsicht,
dass die Grundsätze des modernen Krieges just jene Direktiven sind, die auch den
kapitalistischen Wettbewerb bestimmen, mehr zu sein als ein Epiphänomen der explosiven
Informationssprengkraft. "Information warfare" herrscht längst in den zivilen
Bereichen von Wirtschaft und Kultur, ohne dass "unfriendly take-overs" mit einer
Kriegserklärung eingeleitet würden. Aber mehr: Transnationale Bündnisse und Achsen sind
nicht allein Interessen nationaler Staaten, um ihre ökonomische, kulturelle oder
militärische Präsenz zu verstärken. Auch aggressive Wirtschaftsimperien und kriminelle
Bruderschaften überschreiten gleichermaßen nationale Grenzen, um im Kampf aller gegen
alle den vormaligen Leviathan das Fürchten zu lehren.
Frontlinien lösen
sich auf, weil das Netz nicht nur antagonistische Nationalstaaten und supranationale
Kombattanten repräsentiert, sondern eine globale Öffentlichkeit auf der digitalen agora
zulässt. Es entstehen herrschaftsorientierte Diskurskriege und immer währende
Informationsschlachtfelder, die auch solche Teilnehmer wie Friedensbewegte oder Umwelt-
und Menschenrechtsgruppen zulassen, die vordem keiner bellizistischen Gesinnung
verdächtigt worden wären. Der Krieg verliert sein Gesicht, maskiert sich zur
Ordnungsmacht gegenüber der Entropie des Feindes, wird schließlich zum repressiven
Pazifismus.
Zukünftige
Weltinformationskriege werden danach das "think global, act local" mindestens
eben so gut beherrschen müssen wie "think local, act global", weil in
virtuellen Szenarien die Differenzierungen zwischen zentral und marginal, global und
lokal, oben und unten obsolet werden. Lokale Konflikte verändern sich im
"Information warfare" zu Globalkriegen, weil in einem Netz strategische,
taktische oder propagandistische Vorteile überall und jederzeit entstehen können.
"Information Warfare" verlässt alte Zeit-Raum-Logistiken, wie es zuvor die
Revolutionierung des Krieges durch Guerilla-Taktiken in Kuba, Algerien oder Vietnam
vorausgeahnt hat. Über lange Zeiträume hinweg können etwa taktische Vorbereitungen den
Krieg bereits im Vorfeld finalisieren. "Hacker Warfare", die trojanische Pferde,
Zeit- und Bedingungsbomben in das gegnerische Informationsarchitektur einschleust, kann
die heiße Phase auf einen Zeitpunkt terminieren. Das Kriegstheater ereignet sich dann im
kürzesten Moment, wenn alle Implantate ihre Mission aus verschiedensten
Positionen
vollziehen. Der Schlag liegt hinter jeden imaginären Frontlinie, die Operationslinien
können im Zeitalter der schnellen Bits und Bytes über unbeobachtete Peripherien laufen.
Der Feind bewegt sich tendenziell in Atopien, zu denen keine Datenspuren mehr
hinführen.
Ab jetzt liegen die
Propagandaquellen zwar in einem Dorf, site an site, einen Surftipp weit auseinander, aber
die digitale Dörflichkeit ist alles andere als ein überschaubares Feld antagonistischer,
aber wahrheitsfähiger Interessen. Längst verbreitet
sich in der Netzgesellschaft eine gut begründete Paranoia, dass Informationen als
Zielobjekt und Waffe jede Wahrheit transzendieren. Aporien ziehen ein, wenn jede Wahrheit
nur noch als Anschlussgröße für Gegeninformationen genommen wird.
Goedart Palm
Immer
noch aktuell
Goedart Palm / Florian Rötzer (Hrsg.)
MedienTerrorKrieg
Zum neuen Kriegsparadigma des 21. Jahrhunderts
Telepolis/Verlag Heinz Heise
Juni 2002
ca. 293 Seiten, Broschur
ca. 19,5 Euro (D) / 20,1 Euro (A) / 34 sFr
ISBN 3-88229-199-0 |
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