Von EXPO zu JOLO
Die einzig zuverlässige Auskunft über
die Zukunft garantiert eine hexenhandelsübliche Kristallkugel, alles andere ist
naturwissenschaftlicher Humbug für Leicht- bis Federleichtgläubige. So auch die EXPO
2000, die für 69 DM die Zukunft aus dem Kaffeesatz lesen will und, kurnikuti, kurnikuta,
schillernde Seifenblasen im Weltmaßstab zaubert. Klar: Diese Zukunft ist total digital,
bunt, reich, gesund, vor allem megamegamega, mit anderen Worten: sie schlängelt sich zum
Paradies, geradeaus, dann rechts, an der Dritten Welt vorbei, hinter dem Hügel der toten
Kinder wieder rechts und dann noch ein gutes Stück weiter bis zum goldenen Kalb. Können
Sie gar nicht verfehlen! Nix Pest, Aids oder Computerviren.
Diese EXPO-Zukunft wird auf allen
Märkten des globalökonomischen Unsinns verkauft. Also hoffe ich: EXPO-nenzielle
Wachstumsschübe meiner shareholder-values machen mich in tausend Jahren so reich, dass
Bill Gates ein armer Schlucker neben mir wäre. Ich investiere nur noch in Zukunft. Was
ist schon Gegenwart? Mein Gott, ich bin manchmal so traurig, dass ich nicht in tausend
Jahren, wenigstens aber schon morgen lebe, digitales Lätta-Frühstück mit einem
künstlich intelligenten Toaster einnehme, einem Toaster, der auch tiefe Gespräche
zulässt, einem Roboter-Butler und einem Zimmermädchencyborg, der nicht nur aufräumt,
sondern auch noch weiterreichende Qualitäten besitzt, wenn ich so einsam auf mein
virtuelles Aquarium stiere. Auf diese ganze Herrlichkeit noch obendrauf, bitte zum zum
flatrate-Tarif, Unsterblichkeit, oder darfs noch etwas mehr sein: Nehmen wir doch gleich
Gottähnlichkeit. Im EXPO-Express Richtung Zukunft werden alle bisherigen Unmöglichkeiten
zu blubbernden Bagatellen und wagnerianischen Nebelversprechen.
Andererseits (bitte in capital
letters" setzen): Wenn ich mir so denke, Herr Nachbar und Frau Nachbarin nebst ihren,
meinen schmucken Reihenhausgarten überhängenden Pappeln würden auch ewig leben,
verdüstert sich das irdische Paradies zusehends zum überlebenslänglichen Gefängnis.
Ich müsste ewig erleben, wie sie ihren Kurzhaarrasen scheiteln, ihren Kabrio pediküren
oder gar ihre schreienden Rotzbälger zu Sittenstrolchen erziehen. Neben meinem Nachbarn
gibt es noch ca. ein paar Dutzend Knallchargen, mit denen ich das irdische - noch weniger
das überirdische Paradies - unter keinen Umständen teilen möchte nicht mal
eingerechnet die Strahlemänner und frauen des neuen Ecommerce-Glücks, die
Raubritter von Silicon Valley und alle anderen Optimisten des eigenen Gelddummbeutels, die
mir Magendrücken und Phantomschmerzen auslösen, wenn ich ihre visionären Plastikmasken
im Hochglanzformat sehe. Stell dir vor, wer und was alles überleben würde. Besser nicht.
Na gut, es gibt rühmliche Ausnahmen wahrer Zeitgenossenschaft, etwa Commander
Robot", der mittig zwischen den Wallerts sitzend sie umherzt, mit dem fröhlichen
Lachen eines Profi-Entführers, der nicht weiß, was er will, aber das ganz bestimmt.
Jolo, diese Perle räuberromantischer Inseln, könnte doch ein Piratenparadies sein, wenn
endlich die politische Freiheit der Entführer garantiert würde, jeden zu entführen, der
freiwillig am Insel-Wohlstand mitwirken muss. Ohne zynischen Vorbehalt: Ich hoffe, dass
die Wallerts sich dieses Kameradschaftsfoto noch viele Jahre in bester Gesundheit auf dem
Kaminsims ansehen können und Commander Robot" immer am Jahrestag der
Entführung mit den Wallerts einen Mokka auf die guten alten Erpresserzeiten schlürft,
mindestens aber Frau Wallert einen Inselblumenstrauß zukommen lässt, wenn er
zwischenzeitlich wider Erwarten doch in rostigen Ketten liegen sollte. Happyend, das hoffe
ich wirklich! - wenn da nur nicht dieses listige Lächeln in den Augenwinkeln des
robotigen Commanders wäre. Nomen est omen vermutlich trägt Commander
Robot" diesen Namen, weil er einen ostasiatischen Kinderroboter gleichen Namens für
zwei Dollar fuffzig besaß, dessen klare Handlungskoordination ihm zum Vorbild in einer
chaotischen Welt wurde und der vor seinen verheulten Augen von bösen Buben zerstört
wurde. Sollte er doch ein früh traumatisierter Tunichtgut sein, der seine schlimme
Kindheit auf den Wohlstandsrücken der Edeltouristen der ersten Welt ausbaden will?
Nach der Entführung in Jolo, Morden in
Kairo und Florida und anderen Misshelligkeiten werden touristische Bildungsbürger
demnächst jedenfalls wieder den schwarzen oder den sauren Wald sowie unser"
schönes Südtirol zumüllen, weil der schäbige Rest der Welt eben keine Heimat, sondern
die urböse, unheimliche, blutrünstige Fremde ist. Deutsche wehrt Euch! Fahrt nicht mehr
mit Tui, Scharnow, Neckermann, Multitours oder Last-Minute-Tor-tours auf diesem
elliptoiden Klumpen Dreck herum, der sich anmaßend Erdball nennt, solange nicht
endgültig beschieden ist, dass eure freundlichen Absichten auch von ebenso freundlichen
Wilden mit Begrüßungsschampus und Schuhwichse bedient werden. Schneddereteng! Malediven,
nein danke, wenn dort schon jeder Cocktail zum Urlaubskassendesaster wird. Da geh ich
lieber zum Pseudochinesen an der Ecke, auch wenn wie jüngst am Nebentisch einer per Handy
dem Anrufer erklärt: Bin gerade beim Chinesen, einen Happen picken". Wenn ich
nicht so gut erzogen wäre und nur in alleräußerster Notwehr mit dem AK-47 Einbrecher
rasieren würde, hier hätt´ ich jetzt einen weiteren Grund gehabt, den jedes
Schwurgericht der Welt gelten lassen dürfte, meinem Unmut freiesten Lauf zu lassen.
Einen Happen picken" das ist für mich das Böse schlechthin in der
Sprache relaxter Unzeitgenossen. Das löst Sodbrennen und Obstipation gleichzeitig aus, da
dreht sich die Frühlingsrolle vor Magenschmerz in den Aromastoffen. Just dann denke ich
wieder an die arme Renate Wallert. Wäre doch jener Tischnachbar auf Jolo, einen Happen
mit Commander Robot" picken". Auf Jolo gibts ohnehin nur
Happen", weil die Logistik nicht euroamerikanischen Militärmaßstäben
entspricht und picken" passt hier ein einziger Inselkiosk mit Cola und
Keksen! - besonders gut. Am südphilippinischen Arsch der Welt wäre Gelegenheit genug,
ethnische, religiöse oder politische Differenzen ein Stück weit", etwa so
lang wie ein Gewehrlauf, anzudiskutieren", eine fremde Kultur von ihrer
schattigsten Seite schon wegen der Hitze kennen zu lernen.
Mit anderen Worten: Ich fahre weder auf
die EXPO noch nach Jolo, kaufe keine Bahncard, gehe auch nicht mehr zum Chinesen oder zu
anderen Pappburgern, wenn der Hunger an mir nagt. Ich bleibe zuhause, streichle zärtlich
meine shareholder-values, deren zufriedenes Schnurren Familienglück bis sieben
Kostbarkeiten verheißt und esse steinbodenharte Tiefkühlpizza, bis die fette, fette
Zukunft meinen Türring drei Mal schlägt und ich es mir leisten kann Scher dich zum
Teufel" zu rufen.
Goedart Palm
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