Alles Gaga oder was?
Zum neudeutschen Unterhaltungsterrorismus
Mal wieder geht ein Gespenst um in
Deutschland - das Gespenst der Komik. Die alten wie neuen Kräfte der Spaß- und
Späßchenkultur, Film- und Fernsehmacher nebst Filmsternschnuppen (schnuppe sind die mir
schon lange!), aber selbst deutsche Dichter und Denker, haben sich zusammengetan, es zu
begrüßen, zu hätscheln, zu pflegen. Es lacht, es witzelt, es grinst, es kichert ...
ganz Deutschland fiebert dem Dauerbeschuss immer neuer Pointen entgegen, wenn schon die
früher ach so flächendeckend gebombten Tore der Fußballnationalarmee lang vergessen
sind.
Alte Berührungsängste gegenüber dem
Flach- und Schwachsinn sind längst verflogen. Galt noch vordem Komik teutonischem
Tiefsinn als geistiger Tiefflug, präsentiert sich Komik heute als der Kosmos der
Spaßentschlossenen, aus dem es kein gnädiges Entrinnen in eine witzlose Welt geben soll.
Nachdem unsere militärtouristischen Bemühungen um Weltbeglückung gründlich
missverstanden wurden, regiert jetzt deutscher Witz die wiedervereinigten Brüder und
Schwestern im Geiste von Dada bis Gaga.
Deutsch sein heißt bekanntlich nach Altkomiker
Wilhelm II., eine Sache um ihrer selbst willen zu tun und so sollte sich der
pflichtbewusste Deutsche um des Lachens willen schütteln. Zugleich aber zeigen wir jetzt
dem Rest der schäbigen Welt, zu welcher Komik wir wirklich fähig sind, wenn wir unsere
preußischen Tugenden gnadenlos auf die Welt als Witz und Verstellung von der Kette
lassen.
Unterhalb der Gürtellinie der vormals
gemütlichen bis lauen Witzigkeiten derer von Frankenfeld bis Carrell, jenseits der fast
hochkulturfähigen Scherze eines Loriot sind uns inzwischen Stefan Raabs parodistisches
Klamaukgetöse oder Niels Rufs Tiefschläge allemal wichtiger geworden als unser
historischer Anspruch auf politische Grundverarschung als Gleich- und Zugeschaltete der
Fernsehgesellschaft. Wir reden jetzt nicht mehr von Subtilitäten, sondern von groben
Keilen auf noch grobere Klötze. Auch auf dem Feld des Unterhaltungsterrorismus gilt
Panzergeneral Guderians Devise: "Nicht kleckern, sondern klotzen". Alternativ:
Nun Volk steh auf und Spaß brich los.
Deutsche Kultur will also witzig sein,
was schon für sich Witz genug wäre, wenn nicht inzwischen bewegte Männer, Manta- wie
Trabifahrer, hehre Superweiber, politisch korrekte FrauengefängnisinsassInnen, zickigste
Tunten und sangesgefährlichste Ossis über das wehrlose Zelluloid kratzten, um noch die
kleinste Pointe mit teutonischer bis eben preußischer Gründlichkeit zu erledigen. Die
Zotenagenturen sprudeln mehr Anzüglichkeiten aus, als Irmela Marcos weiland Klamotten im
begehbaren Kleiderschrank hatte. Zwischen Pointenhoch und "Witz unter" gackert
es unaufhörlich, brüllen die duracell-verstärkten (?) Lachsäcke auf den
Zuschauerrängen der Studios. Die Klatschorgasmen in Sitcoms und Comedy-Shows, bis dass
die Hände schmerzen, sind die joko-logische Fortsetzung mittelalterlicher
Selbstgeißelung mit anderen, ungleich härteren Mitteln. Wigald Boning, die
Spätpubertät der Republik im PVC-Anzug, machte den Anfang der selbst ernannten Doofen.
Alle Macht den Doofen, selbst Alt-RTL-Chef Thoma entblödete kein kulturelles
Notstandsprogramm, da mitzuträllern.
Heute quälen Stefan Raab, Berti Vogts
Double für TV-Schizos und Dauerinfantiler, Niels Ruf ("nach drei Worten schon
ruiniert und somit gänzlich ungeniert") und Dirty Old Harry als härteste
Spaßfolterknechte die leidensbereiten Ablacher. Niels´ Ruf im Unterleibssperrbezirk ist
so vorzüglich schlecht wie es seinen Kamikaze-Opfern hoffentlich wird, nachdem er
kübelweise Zoten über ihre bis zur Kenntlichkeit ausgestellten Weichteile gegossen hat.
Aber Promimöchtegerne hält bekanntlich auch die schlimmste Tortur nicht davon ab, ihre
Schamgrenze dem öffentlichen Grenzverletzungsverkehr freizugeben, wenn´s um wertvolle
Sendeminuten geht, die sie zur Viertelstundenberühmtheit machen könnten. Wie früher
chinesische Marterprofis die Füße ihre Opfer zum kichernden Tode kitzelten, wird aber
auch das allbereite Publikum so lange angekitzelt, bis es bereit ist, in Tränen
auszubrechen, von denen niemand genau zu sagen möchte, welcher freiliegende Spaßnerv
dafür zuständig ist.
"Darf Satire so weit gehen?"
Halt, die Frage ist erzfalsch. Satire darf bekanntlich nach der Selbstermächtigungsformel
Tucholskys alles, d.h. in praxi selbst- und gerichtssachverständlich wenig bis gar
nichts. Der posthumoristische Zwangsspaß "Made in United Colors of Germany" hat
indes mit Satire so viel zu tun wie eine den Kinobesuch störende Tüte Popcorn mit einem
schmerztauglichen Schneidbrenner. Abgesehen von dieser schneidigen Behauptung, die wir
vielleicht bei nächstschlechter Gelegenheit dementieren, halten wir dafür, dass Satire
den Wahrheitsgehalt fremder Lügen denunziert, während sich neudeutsche Dämlichkeiten im
tranigen Sud um die eigene Achse wälzen.
Sigmund Freud hat eine geheime Beziehung
des Witzes zum Unbewussten festgestellt, aber der neudeutsche Witz hat eher einen direkten
Draht zur kollektiven Bewusstlosigkeit. Es darf bis zur Bewusstlosigkeit gelacht werden,
aber hinterm Horizont gehts sicher noch weiter. Du weißt jetzt nicht mehr, ob Du
lachen oder weinen sollst - ist doch so egal wie paradox: Lachen ist gesund und Du lachst
Dich also kaputt.
So ringen die zu jedem Spaß
entschlossenen Einfallsschoten zwischen Einschlaf- und Einfaltsquoten darum, nicht im
televisionären Abseits der Fernbedienung zu stehen. Mit anderen Worten: Der Spaßfall ist
der Ernstfall und für diesen Abfall wollen wir gerüstet sein. Angeführt von
wiederbelebten Clown-Fossilien um Heinz Erhardt oder Gunther Philipps wartet heute ein
kichernder Käfig voller Neu- und Altnarren in Leo Kirchs medialer Sicherungsverwahrung,
um immer wieder dem Publikum eingrimassiert zu werden. So wird zwischen Alpenrausch,
Bavaria und Ecstasy der Witz zur Droge ohne Reue, Fernsehkomik zum GEZ, nein danke
- kostenlosen Methadonprogramm für laughcoholics.
Dabei laufen Deutsche angeblich Witzen
hinterher wie der Hase dem Igel. "Ich bin schon hier" sagt die stachlige Pointe,
wenn der Deutsche hechelnd um die Ecke des Verstehens kommt. Ein französischer Witzbold
attestierte den Deutschen daher, sie täten sich zusammen, um ein Bonmot zu begreifen.
Lang ist´s her. Inzwischen tun sich gar ganze communities zusammen, um eine Pointe nach
der anderen im Akkord zu produzieren. Berufszyniker Harald Schmidt etwa verlässt sich auf
ungezählte Witzlegionäre, um mit ständig nachmunionierten Leihwitzen diesen oder jenen
Feldbusch zu traktieren. Witz ist also Kapital und die fröhlichen shareholder-values der
börsengeil aus dem Boden gestampften Witz-AG´s tummeln sich im warmen Hirnwasser von
Brainpool. Dax vobiscum! Das hat Karl Marx ganz sicher nicht erkannt, als er vorwitzig das
unfröhliche Ende des Kapitalismus prophezeite, der zuletzt am besten lachte. Der
Klassenkrampf ist mithin entschieden: Statt Rosa also jetzt Radio Luxemburg. Zwar war der
real existierende Sozialismus auch ein hochtouriger running gag aber ein traurig
schauriger auf Kosten seiner paradiesischen Theorie, während "Laugh per Pointe"
die neue digitale Fernsehpraxis zu werden droht, die zuletzt eine Theorie braucht, um
Spaßjunkies mit der Leimrute zu vög...äh, zu fangen.
Der Unterhaltungsmehrwert einer Pointe
gegenüber der tiefer gelegten Festtagskultur unserer Meisterautorenlangweiler,
Sonntagsfiedler und drögen Politredner ist indes leicht zu erkennen. Die Leute gucken
wenigstens wieder hin, wenn der Fernseher läuft und läuft und läuft. Früher gab´s
noch das Wort zum Sonntag für die heiligsten - will sagen eiligsten - Bedürfnisse.
Seinerzeit gab Pfarrer Sommerauer unserer Blasenschwäche vor dem Spätthriller eine
fünfminutige Ablasschance. Heute noggert sich dagegen noch jede Reklame im
allgegenwärtigen Spaßrausch ihre Pointen im Sekundentakt ab, sodass wir die Werbung als
wahren und einzigen Sendehöhepunkt nicht für diesen oder jenen Spielfilmfetzen hergeben
möchten. Am Rande: Für TV-Werber schmerzliche Pinkelpausen könnten leicht durch
Kooperationsverträge mit Programmzeitschriften gelöst werden, die neben der
Provider-Software kostenlos Inkontinenzeinlagen ihren bunten Blättern beilegen, damit wir
uns ultra-always-anwesend vor Lachen gefahrlos einnässen dürfen.
Mit anderen Worten: Die teutonische Hoch-
und Edelkultur ist mal wieder hochgefährdet unterzugehen, weil die bemühten Dämlich-
und ihre Herrlichkeiten fest im Sattel des wiehernden Zeitgeistes sitzen. Der
"Gagaismus" beherrscht die Legebatterien der Fernsehmacher und hinter der
nächsten Pointe sitzt bestimmt ein noch witzigerer Kopf, als wir es uns heute überhaupt
vorstellen können. Im "gag as gag can" gilt nur noch der Freistil, das Objekt
der Lustigkeiten an der empfindlichsten Stelle zu schütteln, bis es hechelnd, stöhnend,
prustend losplatzt. Lustischschkeit kennt also keine Grenzen? Wollt Ihr den totalen Witz,
totaler und ridiküler, als wir ihn uns heute überhaupt vorstellen können? Nein danke,
Anke. Dir und Euch allen wünschen wir, dass ihr dahin zurückehrt, wo der Pfeffer, d.h.
das Juckpulver säckeweise von den Stauden rieselt, meinetwegen Beppo Brem von
deutschesten Edeltannen jodelt und Charleys Tante vom Blauen Bock besprungen wird.
Deutschlands Realsatiren zwischen schwarzem Kohl und gelbweißen Welfen, die so Ernst wie
August sind, decken unseren schrägsten Hunger auf unfreiwillige Clownpower und täglichen
Kalauerbedarf aufs Vor- bis Anzüglichste.
Goedart Palm |