Fleischklops
der Nemesis
Rebestialisierung
als literarische Berufung: Rex Miller lässt „slob“ von der Kette
und der Literaturkritik gefällt es
Die
Zahl abscheulicher Gestalten in Leben und Literatur ist Legion. Wie würden
die großen Erzählungen der Weltliteratur ohne dieses Personal des
Schreckens funktionieren? Dramen werden durch Helden spannend, deren
Kampf im Dienste echter Katharsis lachhaft wäre, wenn nicht das Böse
seine reale Chance hätte. Die Anforderungen an das böse Profil haben
sich mit dem jeweiligen Selbstbild der Gesellschaft allerdings verändert.
Die Zeiten sind vorbei, als Karl Moor noch mit ein paar Kraftausdrücken
und rebellischem Gestus den veristischen Schrecken auf der Bühne für´s
staunende Publikum garantierte. Jetzt geht es um einen akrobatisch tänzelnden
500-Pfund-Lustkiller mit „Schraubstockfingern“, dessen ganzes Sinnen
und Trachten darin besteht, seine kannibalischen Gewaltphantasien ohne
die Zensur der Wirklichkeit umzusetzen. Was Daniel Edward Flowers „Chaingang“
Bunkowski zuvor als
Ein-Mann-Killer-Kommando mit dem Vietkong veranstaltete, führt dieser
Fleischklops der Nemesis nun mit willkürlich gesuchten Opfern in den
Katakomben der Städte auf. "Chaingang" Bunkowski
ist Programm: Töten ist herrlich sinnlos, der Zweck heiligt nichts, die
Mittel sind der Zweck. It´s Splattertime, es spritzt, es schießt, es
sprüht so gnadenlos rot auf unserem inneren Monitor wie auf dem
Trash-Cover der gelungenen Neuübersetzung von „Slob“. Blut ist ein
Authentizitätszeichen, das unsere besondere Aufmerksamkeit erheischt.
In Tarantinos „Kill Bill Part I“ lässt die blutige Braut im Kampf
gegen die „Crazy 88“-Gang Fontänen
hochschießen, wie es zuvor in amerikanischen Filmen nur die Ölquellen
vermochten. Vom Saft des Geldes zum Saft des Lebens, so lautet die
Selbstakkreditierung des amerikanischen Films. Hollywood sucht die
Wirklichkeitsbeweise des Schreckens in der Eskalation physischer,
sinnlich inszenierter Gewalt. Darf es etwas härter sein? Dauererregte
Nerven muss man mächtig kitzeln, wenn es noch schön warm ums Herz
werden soll.
Es
gibt inzwischen so viele cineastische Widerlinge, dass man sie unmöglich
alle lieben kann. In jedem Marvel- oder DC-Comix verfügt der Held über
eine ganze Corona dieser durchgeknallten Erzwidersacher. Wie anders
sollte er auch strahlen, wenn es keinen Lex Luthor oder Mister Mxyzptlk
gäbe? Inzwischen wurde das diabolische Schema von Sin City oder,
biblisch gesprochen, Sodom und Gomorrha, in diversen Varianten
moralischer Freizügigkeit mächtig durcheinander gewirbelt. In der
Fundamentaldjangologie des Italo-Westerns gab es prinzipiell nur eine
Gesellschaft von Bösen, was uns Partei für das relativ Gute im Morast
der Verhältnisse ergreifen lässt, wenn wir
uns nicht endlich zum letzten Schritt durchringen. Auf der nach
oben offenen Skala der Widerwärtigkeiten und Bosheitsexzesse kämpfen
Regisseure und Autoren seit längerem um Aufmerksamkeit für ihre monströsen
Entwürfe. In Tarantinos „Pulp Fiction“ entwickelte Gangsterboss
Marsellus Wallace neue Maßstäbe: Nachdem ihn Boxer Butch aus
misslicher Stellung befreit hat, verordnet Wallace gegenüber seinem
Vergewaltiger die Vollstreckung: „I'ma call a coupla hard, pipe-hittin'
niggers, who'll go to work on the homes here with a pair of pliers and a
blow torch... I'ma get medieval on your ass.“ Das Heldenschema hat den
weißen Ritter erst dreckig gemacht, bis ihn moralisch höchst
zweifelhafte Typen abgelöst haben. Die neue alte Vergeltungsmoral wird
nun lustvoll „mittelalterlich“, auf jeden Fall aber drastisch,
vollzogen. Schon zuvor hatte Rex
Miller seinen „Slob“ von der Kette gelassen und das nicht gerade
zimperliche Genre damit endgültig auf den Höllenweg gebracht. Millers
Ding aus einer gewalttätigen Welt ist der Oberperversling par
excellence. Hannibal Lecter ist gegenüber dem Serienkiller Chaingang
hochdistinguiert. Lecter ist bekanntlich der Gourmet in der
Kannibalen-Erlebnisgesellschaft. Chaingang geht dagegen keine
zivilisatorisch-kulinarischen Umwege, wenn er Herzen bricht und frisst.
Raffinesse kennt er nur in seinen Exzessen, wenn er seine Opfer
„besser“ leiden lässt. Lecter war ein unerträglicher Bescheid- und
Besserwisser, was sich im Laufe seiner Auftritte fast nicht viel weniger
widerwärtig darstellte als sein Kannibalismus. „Quidproquo“ war
eine Formel, die uns als das Verkehrsprinzip des kapitalistischen
Kannibalismus schnell klar machte, dass auch diese Spezies der
Basisideologie des gerechten Tauschs frönt. Chaingang ist auch
intelligent, er ist der Besitzer eines mächtigen „allesfressenden
Computersuchsystems“. Also selbst im kognitiven Bereich gehört die
Verschlingungsgier zur Grundform seiner Lebensbezüge. Sein Präkognatentum
ist aber nicht wie das der Figuren Philip K. Dicks auf die Auflösung
von klassischen Temporallogiken gerichtet, sondern Teil seines
furchterregenden Waffensystems. “Slob“ ist die Inkarnation der
US-Militärfantasien, die weiterhin unverdrossen Frühwarnsysteme und
„no-escape-zones“ zum präkognitiven Ideal ihrer erfolgreichen
Informationskriegsführung machen wollen. Chaingang verspricht uns
jedoch nicht wie seine einstigen Kriegsherren chirurgische Eingriffe. Er
ist das autochthone Urmonster aus der stinkenden Kanalisation, das seine
Opfer in die tiefsten Kreise der Hölle zieht, also jene Orte, die man
zuvor mit Dante, de Sade oder Pasolini besuchte. Rex Miller bemüht sich
nicht mal um die psychologische Plausibilität in der
Schizo-Konstruktion dieses paranoiden Monstrums. Zwar skizziert er
ironisch-affirmativ die grauenhafte Kindheit des Serienkillers. Doch
Bunkowski Chaingang ist eine Katastrophe ohne plausible Provenienz. Er
besiegelt den Untergang des amerikanischen Traums, weil ihm die
amerikanische Freiheit und der Rest der ehernen Werte so völlig
schnuppe sind, wenn es um sein höchsteigenes Glücksstreben geht. Die
Veteranen kehren zurück und entweder leiden sie an den Traumata oder
bereiten sie anderen. Chaingang dagegen mochte diese „kleinen Leute“
da unten in der unterirdischen Kriegswelt Vietnams, weil ihm keiner was
vormachen kann, wenn es um Opferqualitäten geht.
Miller
produziert eine Projektionsfläche, die mit hässlichen, verdrängten
Bildern und einer vermutlich mimetisch genauen Beobachtung dem Koloss
die passenden sprachlichen Ungetüme in den Mund legt. Die Übersetzung
dieser Rülps- und Kotzsprache lässt einen tief in die
Slang-Wirklichkeit eintauchen, die eben nie in der Diktion des
Polizeiberichts und auch nicht in der Sprache des lüsternen Boulevards
wiederzugeben ist. Vermutlich wäre die passendere deutsche Betitelung
des Romans „Drecksack“ und nicht „Fettsack“ gewesen. So eröffnet
„slob“ im Englischen einige leitmotivisch hilfreiche Konnotationen,
ein Fettsack ist im Deutschen indes eher ein Gemütlichkeitsprodukt und
das ist der gute böse Chaingang nun ganz und gar nicht. „Durch
langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den
es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden sehen. Ich
will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve
lösen und das Kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu
schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein
empfindungsloses Aas.“ Das sind harte Sprüche eines Kettensägenmörders.
Mitnichten, diese Cut-up-Semantik stammt nicht von Chaingang, sondern
von der Dame Marwood in Lessings Trauerspiel „Miss Sara Sampson“.
Nicht nur für Gattungsfetischisten wird also klar, dass „Splatterpunk“
avant la lettre auch
bei vordergründig unverdächtigen Klassikern, Aufklärern ein
unentbehrlicher Spannungsverstärker war, von der (schwarzen) Romantik
und ihrer Gewaltbereitschaft zu schweigen. „The Most
Lamentable Roman Tragedy of Titus Andronicus” von William Shakespeare
und ähnliche Texte belegen, dass sich die Zivilisation nur erträgt,
wenn sie, paradox gesprochen, unerträglich wird. Der Mensch kann dem
Mythos des Zivilisationsprozesses nur folgen, wenn ihm ausreichende
Projektionsfluchten geboten werden, die dann „alter egos“ wie
Chaingang bevölkern und in denen sich der zivilisationsstrapazierte
Mensch in teuflischen Phantasien suhlen darf. Diese schon von Euripides
in seinem posthum preisgekrönten Werk „Die Bakchen“ (Bacchantinnen)
aufscheinende Katharsis-Theorie klärt uns über den Blutrausch aber
nicht vollständig auf: ..,voll Durst nach dem Blut des getöteten Böckleins, voll
Gier, sich zu laben an rohem Fleisch." Fatal an solchen
Projektionen bleibt ihr „dual use“ zwischen Katharsis und medialer
Aufheizung für den Ernstfall. Unsere Pädagogen verfehlen zumeist diese
hochambivalente „Drecksack“-Theorie, weil sie nicht verstehen können,
dass die Wiedergänger des ausgetriebenen Schreckens nicht durch
einsinnige Theorien botmäßig gemacht werden können. Der Kannibale von
Rothenburg ist real, so irreal die seinerzeit handelnden Figuren in
ihrem bizarren Todesspiel selbst noch in ihrer journalistischen und
judikativen Aufbereitung erschienen. Peter Gay konstatierte in seiner
Untersuchung „Kult der Gewalt“, dass längst noch keine zufrieden
stellende Theorie der Aggression vorliegt, was daran liegen mag, dass
zahlreiche Phänomene der Gewalt keinem Generalnenner folgen. Die
Zivilisation bleibt eine offene Wunde. Friedrich Nietzsche träumte von
der blonden Bestie, was ihn schlechten Interpreten zufolge in die Nähe
der Nationalsozialisten brachte. Wichtiger war auch hier, dass nicht der
blonde, distinguierte Herrenmensch, sondern die Bestie im Vordergrund
des Antizivilisationsprogramms stand. In der „Genealogie der Moral
macht Nietzsche klar, dass diese sich verausgabende, enthemmte Kreatur
das Gegenteil des kantischen Pflichtenmenschs darstellt, dem wir doch
jederzeit nacheifern sollten: "Sie
geniessen da die Freiheit von allem socialen Zwang, sie halten sich in
der Wildniss schadlos für die Spannung, welche eine lange
Einschliessung und Einfriedung in den Frieden der Gemeinschaft giebt,
sie treten in die Unschuld des Raubthier-Gewissens zurück, als
frohlockende Ungeheuer, welche vielleicht von einer scheusslichen
Abfolge von Mord, Niederbrennung, Schändung, Folterung mit einem Übermuthe
und seelischem Gleichgewichte davongehen, wie als ob nur ein
Studentenstreich vollbracht sei, überzeugt davon, dass die Dichter für
lange nun wieder etwas zu singen und zu rühmen haben. Auf dem Grunde
aller dieser vornehmen Rassen ist das Raubthier, die prachvolle nach
Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bestie nicht zu verkennen; es
bedarf für diesen verborgenen Grund von Zeit zu Zeit der Entladung, das
Thier muß wieder heraus, muss wieder in die Wildnis zurück…“
In
der vietnamesischen Wildnis oder im Asphaltdschungel unwirtlicher Städte
sind die Konditionen für lustvoll mordende Bestien wie Chaingang
ziemlich ähnlich, so wenig eine Gesellschaft hier für erträglich hält,
was sie dort für geboten ansieht. Gegenüber der Maschine des Staates,
die ihre Menschenopfer in Kriegen legitimiert, sind die ausrastenden
Maniacs freilich eine unwichtige Größe: „DANTON.
Du hast recht – man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das
ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht.“
Georg Büchner wusste, dass „das, was in uns lügt, mordet, stiehlt“
nicht leicht auf einen einsinnigen Begriff zu treiben ist, aber sich an
allen Orten gesellschaftlicher Wirklichkeit zeigt. Der Horror,
der zuvor in die Fremde exportiert wurde, um vorgeblich Wilde von der
Zivilisation zu überzeugen, kehrt in Gestalt des Kettenkillers nun an
seinen soziopathischen Ursprung zurück. In der Stadt trifft Chaingang
auf eine andere, zivilisierte Bestie, den Seniorchef einer Chicagoer
Anwaltskanzlei. Dieses Raubtier hat sich auf White-Collar-Kannibalismus
spezialisiert, jene sattsam bekannten Bestechungs-, Korruptions-, Bemächtigungsgeschichten,
die die Demokratie verhöhnen und auch in finsteren Tiefen stattfinden.
Chaingang und der von ihm geschlachtete Machtwiderling „Winslow
Charles Maitland II“ sind untergründig Komplizen einer widerwärtigen
Zivilisation, die Rex Miller in ihrer Begegnung kurzschließt, um die
moralische Irritation auf die Spitze zu treiben. Wie sich der
amerikanische Traum jenseits von Obama Jesus Superstar gestaltet, wissen
wir nicht nur aus allfälligen Massakern, Kriegsexporten nach Vietnam,
Afghanistan oder Irak und gewaltberauschten Medien. Das Popcorn-Kino der
etwas härteren Gangart mit seinen zahllosen „die hard“-Serien ist
die größte Wiederaufbereitungsanlage für alle verfemten Triebe und Hässlichkeiten. Die Perversität besteht nicht in Texten wie dem vorliegenden, in
denen die Dinge so präzise wie hässlich artikuliert werden, sondern im
Mainstream, der uns mit dem Schrecken in billiger Weise versöhnen will.
Künstlerisch plausibler ist in Millers literarisch aufgestacheltem
Entwurf auch die Vexierqualität, das jederzeitige Umklappen von Horror
in groteske Szenarien, die uns wieder in Erinnerung rufen, dass noch der
bizarrste Schrecken seinen Anfang im virtuellen Horror und Goyas
Monstern aus der Tiefe findet, die in vielen Bettkästen hausen. Der
Schrecken findet bei evolutionär geschulten Wesen, die viele Monster überwunden
haben, den besten Kollaborateur immer in der Imagination. Auf dem Weg
der Rebestialisierung der Menschheit sind wir mit „slob“ ein gutes
Stück weitergekommen, weil er das urbane Schreckgespenst, das seit der
Nichtentdeckung „Jack the Rippers“ die Städte im eigentlichen,
emphatischen Sinne so unwirtlich macht, nun surreal überbietet.
Vor
diesem Hintergrund ist Millers Werk ein Kommentar, der mit seinem
literarisch-lustvollen Überbietungsrausch das Alibi des wahren
Schreckens verspottet: „Die wahren Killer werden selten in der
Unterhaltungsliteratur porträtiert.“ Das ist ein weiterer ironischer
Hinweis Millers, den wir als Eingeständnis des literarisch inszenierten
Daseins von Bunkowski Chaingang auffassen dürfen. Die biografischen
Hintergründe der Serienkiller, psychologische und andere Spekulationen,
erschöpfen nicht die letztgültige Tiefenerkenntnis solcher Figuren.
Schlimme Kindheit, traumatische Erfahrungen und ähnliche Hilfsmuster
der Erklärung geben uns keine Erklärung, warum nicht alle malträtierten
Kinder Massenmörder werden. Der psychologischen Ausdeutung seines
Antihelden misstraut Rex Miller und das macht den Roman und seine
Brute-Force-Lustbarkeiten bei oberflächlicher Lektüre „trashverdächtig“.
Doch der wahre Trash sind diese psychologischen Erkenntnisse aus dem
Reader´s Digest für primitive Triebökonomien, die den blinden Flecken
solcher vermeintlichen Irrläufer der Zivilisation jederzeit für
ausdeutbar halten. Millers Monster ist dagegen so unerklärlich wie die
Weltkonstruktion und ihre ubiquitären Katastrophen selbst. Miller
konstruiert seinen Killer folgerichtig als irreale Figur, die den
Profilern des FBI immer entgehen würde, weil er gerade keine echten
Marotten hat. Dieser Killer ist in der sarkastischen Brechung der wahre
Demokrat, denn ihm sind alle Opfer gleich viel wert. Chaingang ist ein böser
Vektor der Evolution. Wie der Ermittler Jack Eichord, selbst alles
andere als eine einsinnige Cop-Figur, Chaingang in der Kanalisation zur
Räson bringt, präsentiert eine weitere abgründige Variante der
perversen Verwobenheit von rührenden Gefühlen und Entmenschung. Es
sind diese Konditionen der Ambivalenz des Menschentiers, die den
Aufenthalt in Zivilisationen zum unfreiwilligen Abenteuer machen. Wenn
Ihnen also Bunkowski Chaingang nicht nur literarisch begegnen sollte,
ist es ohnehin zu spät…
Goedart
Palm
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