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Zur Kritik der
medialen Vernunft Teil 6
Mediale
Selbstgespräche
von
Goedart Palm
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I.
Einleitung
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'Kommunikation'
wurde zur Zauber- und Allerweltsformel des gelungenen Einbaus der
Subjekte in Massengesellschaften, deren kommunikative Intensität
durch immer neue Verbreitungsmedien unabsehbar gesteigert wird.
Idealtypisch vermittelt das Subjekt sich in der Gesellschaft, um
in seiner Sozialisation die Reproduktion der Gesellschaft und des
gesamtgesellschaftlichen Wissens zu gewährleisten. Von diesem
einfachen Befund ausgehend teilte sich in den soziologischen
Betrachtungen zuletzt bei Habermas und Luhmann immer stärker die
Bedeutung von Verbreitungsmedien in der gesellschaftlichen
Kommunikationspraxis mit. Historisch wird die Frage brisant, ob
die gesellschaftlich relevanten Kommunikationen vom Menschen immer
stärker auf Medien verlagert werden, oder Medien schließlich gar
die gesellschaftliche Kommunikation in ihrer Eigendynamik völlig
kolonisieren.
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Die Frage klingt
zwar paradox, weil doch Menschen reklamieren, Medien als (Fern)Kommunikationsinstrumente
zu ihren Zwecken einzusetzen. Medien vermitteln Menschen permanent
individuelle Kommunikationserfolge, die sie in der
gesellschaftlichen Praxis relativ unverdächtig erscheinen lassen.
Wie Lewis Mumford betont hat, ist die Kommunikation nach einer
Reihe telematischer Entwicklungen wieder an den Punkt der
unmittelbaren Verständigung zurückgekehrt, von dem sie ihren
Ausgang genommen hat (Anm.1). Die neue Unmittelbarkeit verlässt
aber die Grenzen der oralen Kultur, um die vormaligen Begrenzungen
von Raum und Zeit in tendenziell instantaner Kommunikation zu
transzendieren. Gleichwohl regte sich Misstrauen gegen die neue
Kommunikationsherrlichkeit, weil zugleich zahlreiche Medien- und
Technikkritiken auf die Selbstreferenzialität von Medien
verwiesen.
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Bereits die berühmte
Kritik von Horkheimer und Adorno an der Kulturindustrie
bezichtigte Massenmedien, ein- und eigensinnig zu wirken, der
Gesellschaft das Besondere auszutreiben, alles mit Ähnlichkeit zu
schlagen, vor allem aber die Adressaten von Massenmedien so zu
nivellieren, dass sie medienkompatibel werden. Demgegenüber
bleibt es eine schwache Kritik, Menschen aufzugeben, den medialen
Verblendungszusammenhang selbst zu durchbrechen, weil der
gesellschaftliche Gebrauch des Mediums längst die Eingriffsmöglichkeiten
des Einzelnen prägt und zugleich überfordert. Die Kritik an der
kulturindustriell gefertigten Kommunikation erledigte sich nicht
durch die Wirkungsmächtigkeit des Menschen, sondern die Sendeverhältnisse
wurden heterogener, indem die Technologie multipolare vernetzte
Kommunikationsstrukturen eröffnete. Aber wurden dadurch auch die
beklagten medialen Eigendynamiken reduziert und erfolgreiche
Kommunikationen zwischen Menschen ermöglicht?
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II.
Codierte Kommunikation
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Paradigmenwechsel,
Kommunikationsabbrüche oder idiosynkratische Mutwilligkeiten
werden seit je (inter)subjektiv als Störfälle einer gelungenen
Kommunikation behandelt. Bezogen auf die Entwicklung
gesellschaftlichen Wissens sind sie aber konstitutiv, da die
Wissensproduktion auf Vorbehalte, Korrekturen oder Neuanfänge
angewiesen bleibt. Ohne Missverständnisse, Zweifel und
Widerspruch entstünde kein kommunizierbares Neuwissen. Hegels
Analysen zum Widerspruch markieren diesen dialektischen
Fortschritt als Begriffsgeschichte. Jeder Begriff wird aber nicht
nur durch Kommunikationen vermittelt, sondern fortwährend in
seinem Gebrauch variiert. Besonders deutlich wird das bei den
vielbeobachteten Paradigmenwechseln, die als Kommunikationsstörung
beginnen, um das Selbstverständnis der Gesellschaft von einer
gelungenen Kommunikation schließlich fundamental zu verändern
und zu einem neuen, vorübergehenden Standard erfolgreicher
Kommunikationen zu gelangen.
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Pierre Bourdieu
erkennt die Grundfrage aller Kommunikation darin, ob die
Voraussetzungen des Verständnisses erfüllt sind. "Verfügt
der Hörer über den Code, mit dem er dekodieren kann, was ich
sage?"(Anm. 2). Kein Mensch verfügt aber je über den vollständigen
Code des Gegenübers, weil er sonst über dessen Verständnishorizont,
seine Konnotationen und Eigentümlichkeiten verfügen müsste --
mithin: der Andere wäre.
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Die Grundfrage aller
Kommunikation lautet daher: Verfügt der 'Sprecher' über einen
Code, der zumindest ausreichend ist, den Adressaten aus seinem
Kommunikationsgleichgewicht zu bringen? Kommunikationen ereignen
sich an der fragilen Schnittstelle von bereits Bekanntem und
dessen Irritation. Ihr Erfolg hängt von der schwer justierbaren
Proportionalität zwischen diesen beiden Zuständen ab. So wäre
etwa dem vorliegenden Text nur ein kommunikativer Erfolg
beschieden, wenn der Leser in der unwahrscheinlichen Situation
angesprochen wird, gerade mit diesen Mitteilungen seinen Verständnishorizont
zu erweitern. Es ist statistisch wahrscheinlicher, dass der
Adressat entweder dieses Kommunikationsangebot aus zahlreichen Gründen
nicht versteht oder aus einer besseren Perspektive, als sie der
Autor besitzt, als redundant oder unrichtig zurückweist.
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III.
Asymmetrische Kommunikation
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Bereits in der primären
Kommunikation ohne Einsatz technischer Medien liegen erhebliche
Risiken, die Botschaft nicht oder falsch zu übertragen. Wir rufen
etwa dem Suizidalen auf dem Dach zu: "Spring' nicht",
aber unsere Verneinung wird vom Wind verschluckt. Indes zeigt
dieses einfache Beispiel die Offenheit der Kommunikation besonders
deutlich. Mein Kommunikationsversuch ist zwar mit einer
Verhaltenserwartung gegenüber 'alter' verbunden, aber mein Gegenüber
bleibt für mich in seiner Entscheidung kontingent. So weit das
mentale Ambiente des Gegenübers besser bekannt ist, mögen
Verhaltenserwartung und Kommunikationsangebot besser begründbar
sein. So kann etwa eine paradoxale Kommunikation (Intervention)
erfolgreicher sein, wenn 'alter' dieser Struktur auf Grund früherer
Erfahrungssicherheiten eher folgen wird. In dem zuvor genannten
Beispiel könnte also die Aufforderung an den Suizidalen, nun doch
endlich zu springen, das (erwünschte) Gegenteil bewirken. Jede
Kommunikation ist mithin offen, kann angenommen, abgelehnt oder
nicht verstanden werden.
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Selbst wenn Gesprächen
auf Grund bestimmter Grundbedingungen der Mitteilbarkeit eine
kommunikative Rationalität unterstellt wird, muss der Adressat
meiner Kommunikation sich diesem Modell gerade nicht fügen. Mit
anderen Worten: Die kommunikative Rationalität ist selbst ein
Kommunikationsgegenstand, der angenommen oder abgelehnt werden
kann. Fundamentalisten sehen etwa in einer herrschaftsfreien
Kommunikation wenig Sinn und suchen keine konsensorientierten
Diskursergebnisse.
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Das berechtigt nicht
zu der Feststellung, dass Kommunikationen gegenüber
Kommunikationsverweigerern wirkungslos sein müssen. 'Alter' muss
sich zwar dem Bedeutungsangebot nicht anschließen, aber die
Bedeutung verunsichert sein kommunikatives Gleichgewicht. Die
Folge dieser Unruhe ist in nichttrivialen Zusammenhängen nicht
vorhersagbar. Warenangebote, die etwa Wohlstand kommunizieren,
sind daher in fundamentalistischen Gesellschaften, die diese
Botschaft zurückweisen, asymmetrisch, aber deshalb nicht
erfolglos. Daher könnte der kommunikative Angriff von McDonalds
oder Coca Cola auf einen fundamentalistischen Diskurs politisch
effizienter sein als die christliche Frohbotschaft, weil diese
symmetrisch/spiegelbildlich gekontert werden kann. Wäre die wahre
Ökumene nicht länger die Transzendenz Gottes in einem überkonfessionellen
Glauben, sondern die Immanenz der Ware? Warenangebote folgen einer
anderen Codierung als Religionen: Sie kommunizieren unmittelbare
Befriedigung, die eben gegenüber zukünftigen Heilszuständen
vorzugswürdig sein mögen.
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Politische oder
religiöse Herrschaft, die versucht, ihre Macht auf einen jeweils
erreichten Kommunikationsstandard und dem zugeordnete Codes zu
fixieren, hat geringe Zukunftschancen, weil sie nicht sämtliche
Irritationen eines Verständigungsniveaus kontrollieren kann. Zwar
können Subjekte in ihrer Kommunikation limitiert werden:
Internet-Cafes werden wie in China geschlossen oder den
Mitgliedern der Gesellschaft Orwell'sche Sprachregelungen
vorgeschrieben. Gleichwohl ist die Feinstruktur politischer Veränderungen
mit diesen Mitteln nicht dauerhaft erfolgreich zu beeinflussen.
Die Offenheit der Kommunikationen setzt sich langfristig immer
gegen massenmedial verordnete Verbote, Propaganda oder gar
klassische Waffen durch. Das gleichsam metaphyische Raunen von
Kulturmorphologien, die vom Aufstieg und Abstieg von Kulturen
handeln, kann auf Kommunikationseffekte reduziert werden. Der
Zusammenbruch der sozialistischen Staaten folgte nicht zuletzt der
Unmöglichkeit, die kommunikative Penetration von unrichtigen
Selbstbeschreibungen zu verhindern.
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Kommunikative
Rationalität ist in medialen Gesellschaften indes ein selten
erreichter Idealtypus der Verständigung. Massenmedien reduzieren
sich schon deshalb nicht auf Verständigung, weil sie ständig
ihre zumeist anonymen Empfängerkreise entgrenzen wollen. Das
funktioniert aber nur dann, wenn der 'Warencharakter' der
Kommunikation zum Nachteil ihrer Diskursqualität verstärkt wird.
So erleben wir etwa die Fernsehwelt asymmetrisch, ständig werden
Kommunikationsweisen gewechselt -- Analysen, Nachrichten,
Unterhaltungsformen und die ihnen zugehörigen Sprachmodelle
konkurrieren miteinander. Die Adressaten nehmen
Fernsehkommunikation als ein patch-work von Diskursstilen,
Redeweisen, vor allem aber von Bilder- und Signalwelten wahr. Wir
gewöhnen uns an hybride Kommunikationsformen: Cross-over,
Infotainment, Edutainment, Werbung, die sich den Nachrichten
anverwandelt und umgekehrt. In dieser Welt wird die Inkompatibilität
der Botschaften und der Verständigungsabsichten der Teilnehmer
zum medialen Alltag.
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Im Zapping
pervertiert der Zuschauer nicht das Kommunikationsmedium
'Fernsehen', sondern reagiert auf die Unvereinbarkeit der medialen
Botschaften mit noch höherer Kontingenz. Das ist zuletzt nicht
ein erfolgreicher Mediengebrauch der Selbstaufklärung, sondern
eine individuelle Abbildung des Kommunikationschaos. In der
kommunikativen Fülle wird die Leere der Botschaft geahnt, die den
Adressaten in den unendlichen Rückgriff auf vermeintlich bessere
Mitteilungen treibt und doch nur die Orientierungslosigkeit von
Rezipienten markiert.
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Das Internet überbietet
die kommunikative Aufheizung des Fernsehens: Die
Kommunikationsselektion wird tendenziell völlig auf den
Adressaten abgewälzt. Auf Grund der nicht vermessbaren Topografie
des Netzes verliert der User den Glauben an seine
Kommunikationsherrschaft vollends, weil seine
Kommunikationsverarbeitungskapazität ständig überfordert wird.
Zwar gibt es keinen Buridanschen Netzesel, der auf tausend Wegen
gleicher Entfernung Mohrrüben sieht und in der Unentschiedenheit
verharrt, aber der Kommunikationsgier einer entfesselten
Weltgesellschaft ist nur mit steigernder Selektivität
beizukommen, die zunehmend kontingent ausfällt. Der
psychologische Effekt für den User ist frustrierend, weil die
Unsicherheit über selektiv notwendige
Kommunikationsverweigerungen gleichsam zum Medium seiner
Bewegungen wird. Dem ist nicht mit immer neuen
Informationsversprechen, Infobrokern oder Metasearchengines
beizukommen, weil deren feedback die wuchernde Welt einem zusätzlichen
Veränderungsdruck aussetzt.
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IV.
Übertragungsstörungen
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Durch die doppelte
Schnittstelle, Subjekt und Medium, wird jede Vermittlung gefährdet,
überhaupt erfolgreich zu sein. Ich verstehe nicht, was 'alter'
sagt oder das technische Medium schluckt Informationen, deformiert
sie in seinem Rauschen. Auch Marshall McLuhans These, dass sich
das Medium selbst vermittele, ist tendenziell zunächst der Fall
einer Kommunikationsstörung. Das Fernsehen teilt sich als reines
Medium abstrakt mit, seine nichtmediale Botschaft ist daneben
wirkungsschwach bis nicht vorhanden. Wir erleben etwa eine
Naturkatastrophe in ihrer reinen Medienwirkung, der reale
Schrecken verschwindet hinter dem medialen Ereignis.
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Das Grundschema
dieser medialen Kommunikationsreduktion tritt besonders
wirkungsvoll in den Frühformen des Mediengebrauchs auf. "Als
die Bilder laufen lernten", war es tendenziell unbeachtlich,
etwas anderes als die Bewegungsillusion selbst zu vermitteln. Ob
Muybridge etwa Pferde oder Menschen bewegte, ist für den frühen
Kommunikationszusammenhang 'Bewegte Bilder' respektive 'Film'
tendenziell vernachlässigbar. Altern Medien, werden diese phänomenologischen
Momente, die Selbstreferenzen des Mediums, indes schwächer.
Niemand hört mehr Radio, nur um sich von abwesenden Stimmen
faszinieren zu lassen.
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Technische Medien
gelten in der Kommunikation historisch zunächst lediglich als
Vermittlungshelfer bzw. Kommunikationsverstärker. Sie
mediatisieren Informationen, um die kollektive Wissensverbreitung
in einer Gesellschaft zu beschleunigen. Da sie aber
Kommunikationen speichern und situationsunabhängig machen, werden
mediale Verständigungen abstrakt. Wir rekonstruieren
gesellschaftliches Wissen zunehmend in solchen 'geronnenen'
Kommunikationen, die im kollektiven Gedächtnis bzw. Speicher
erhalten werden und mehr oder minder beliebig abrufbar sind. Das
Subjekt gerät in die schizoide Falle, zwar angesprochen zu
werden, aber doch nicht individuell gemeint zu sein. Die Medienfrühzeit,
in der sich angeblich Fernsehzuschauerinnen schminkten, um dem
Nachrichtensprecher zu gefallen, kann zwar nicht als erfolgreiche
Flucht aus dieser Falle gelten, macht aber deutlich, dass mediale
Angebote vom Menschen psychologisch kontextualisiert werden müssen.
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Wenn die
telematischen Wirkungen von Verbreitungsmedien zum Standard der
Welterfahrung werden, werden konsensorientierte
Kommunikationsansprüche nicht nur prekär, sondern sind auch
nicht mehr einzulösen. Das läßt sich leicht überprüfen, wenn
etwa mediale Diskurse -- wie häufig -- in einen unendlichen Rückgriff
auf eine Wahrheit führen, die immer neu konstruiert werden kann.
Ob etwa Bush oder Gore der wahre Präsident der USA ist, muß zwar
politisch entschieden werden, ist aber diskursiv schon deshalb
nicht aufzulösen, weil politische Macht zu ihrer Selbsterhaltung
die kommunikative Vernunft instrumentalisiert -- mithin
unbrauchbar macht.
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Da uns in der überwiegenden
Zahl die kommunizierten Ereignisse ohnehin nicht unmittelbar
betreffen, schwächt sich zugleich der außermediale Gehalt der
Botschaft ab. Botschaften müssen folglich etwa künstlich
gesteigert werden, wenn sie überhaupt noch mitteilbar sein
sollen. Dramaturgische Einrichtung, Echtzeitberichterstattung,
schockierende Schnitttechniken etc. sollen die kommunikativen Schwächen
der Vermittlung unsichtbar machen. Medien prätendieren
Unmittelbarkeit gegenüber dem Näheverlust der Welt. Dabei tritt
der Effekt einer schlechten Virtualisierung von Wirklichkeit ein,
weil wir zwar noch individuell glauben mögen, mit 'wirklicher
Wirklichkeit' konfrontiert zu werden, aber die fehlende Übertragung
in die individuelle Lebenswirklichkeit nicht dauerhaft verdrängt
werden kann. So sind die 'wahren' Katastrophen zwar als
Fernereignisse kommunizierbar, aber gerade darin sind sie
empathisch nur bedingt mitteilbar. Die Welt reizt uns, aber wir
werden empfindungslos. "Weltweite Telekommunikation in diesem
Sinn wäre letztlich Exkommunikation von jeder erkennbaren
Gemeinschaft" dekretierte Mumford gegenüber dem nur noch
reizdurchfluteten Global Village (Anm. 3).
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V.
Ex-Kommunikationen
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In der Folge
technologischer Fortschritte und der Bedeutungseinbußen
menschlicher Verständigung vermitteln sich Medien in der
gesellschaftlichen Kommunikation immer nachhaltiger. In ihrer
Autopoiesis machen sie sich von Menschen unabhängig, ohne den
Glauben an ihre Instrumentalisierbarkeit vollends zu zerstören.
Sie speichern, selektieren und transportieren die Information,
verarbeiten sie zu Kommunikationsangeboten, die wiederum von
anderen Medien aufgenommen oder abgelehnt werden. Während
Menschen kommunizieren, werden sie von Medien exkommuniziert, weil
deren Eigendynamik von souveräner Themenunabhängigkeit geprägt
ist. Die grassierende Handymanie, die neue SMS-Herrlichkeit, oder
der E-Mail-Dauerbeschuss von Usern folgen der Paradoxie, in
der Kommunikation zugleich diese zu hintertreiben. Denn
Kommunikation ohne Kommunikationsverzicht schließt nicht zur
Autonomie der Teilnehmer auf, sondern lässt deren Identität in
den mediatisierten Verhältnisssen zerfliessen. Das ließe sich
zwar jenseits des Glaubens an anthropologische Grundbedingungen
auch positiv beschreiben, wenn etwa das global brain als
evolutiver Fortschritt einer totalisierten Weltkommunikation
beschworen wird. Aber warum sollten Menschen ihre Aufhebung in
einer "Megamaschine" (Lewis Mumford) fördern, wenn
Restwahrscheinlichkeiten bestehen, diesen Fortschritt auch stören
zu können.
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Kein Mensch kann
indes behaupten, die Kommunikationswirkungen in Mediensystemen
auch nur annäherungsweise zu kontrollieren. Weder
Programmkommissionen, Medienanstalten und schon gar nicht Einzelne
beherrschen die Eigendynamik medialer Selbstgespräche. Das ist für
Politiker so fatal wie für Kybernetiker, die Steuerungswirkungen
ermitteln müssen, wenn sie ihren gesellschaftlichen Anspruch in
vermittelten Gesellschaften einlösen wollen. In Mediendemokratien
widersprechen sich politische Selbstbestimmung und mediale
Eigendynamiken so fundamental, dass Politiker immer stärker auf
die Fabrikation medialer Wahrheiten verwiesen werden. Prägnantes
Beispiel ist etwa die erleichterte Feststellung Colin Powells, dass
der Golfkrieg nicht nur im Felde, sondern auch in den Medien
gewonnen worden sei. Man mag inzwischen spekulieren, welcher Sieg
folgenreicher ist.
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Die mediale
Kommunikations- und Wissensmaschine baut Menschen in ihre
Reproduktion ein, so wie Menschen sich ihrer bedienen, um ihre
gesellschaftliche Wirkung sicherzustellen. Platos Warnungen vor
der Verschriftlichung von Informationen, ihrer
Dekontextualisierung und damit verbundenen Authentizitäts- und
Wahrheitsverlusten haben sich in den medial immer stärker
aufgeheizten Kommunikationsverhältnissen als wirkungslos
erwiesen. Vielleicht steckte in der Angst vor dem Wahrheitsverlust
bereits die Furcht vor endgültigen anthropozentrischen Einbußen
gegenüber subjektlosen Kommunikationen. Andererseits hat die
Verschriftlichung von Kultur immerhin den emanzipatorischen Willen
zu einer herrschaftsfreieren Gesellschaft zumindest in einigen
historischen Situationen eingelöst. In der Verschriftlichung bzw.
kontextunabhängigen Speicherung von Kommunikationen steckt aber
die fatale Dialektik, dass diese Wirkungsmacht in einer heterogen
konstruierten Öffentlichkeit zersplittert.
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Aber nachgefragt:
Ist den Selbstvermittlungen von Medien nicht durch die
'kommunikative Gegenwehr' von Menschen zu begegnen? Die These
intermedialer Autonomie könnte insoweit angezweifelt werden, als
Medien zumindest in ihrem idealtypischen Zuschnitt nicht
kontingent reagieren können.
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Ein Videorecorder,
der eine Fernsehsendung aufzeichnet, funktioniert als triviale
Maschine. Der Videorecorder kann sich nicht weigern, die
Aufzeichnung zu machen oder etwa so irritiert werden, das Original
zu kommentieren. Es findet in der Aufzeichnung keine Kommunikation
zwischen den beiden Medien statt. Die Aufzeichnung unterscheidet
sich von Übertragungsunschärfen abgesehen nicht vom Original. Es
fehlt scheinbar an der Offenheit der Reaktion, die wir in jeder
Kommunikation voraussetzen und die erst Verhaltensveränderungen
auslösen kann.
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Diese vordergründige
Betrachtung setzt aber den Gebrauch des Mediums mit seiner
technologischen Funktion gleich. Die technische Reproduzierbarkeit
ist nicht das historische Signum solcher Medien, sondern die
Offenheit der Gestaltung im Gebrauch, die jede primäre
Wahrnehmungsherrschaft und ihre Verdoppelung im Medium als höchst
zufällig erscheinen lässt. Besonders signifikant ist die übliche
Transformation einer Wahrnehmung, die etwa den Weg durch eine
Kamera-Aufzeichnung, den folgenden Schnitt, die
Neukontextualisierung mit korrespondierenden oder abweichenden
Wahrnehmungen in einer Reportage etc. erfährt.
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Tautologisch
gesprochen sind kommunikative Medieneffekte dieser Art die
Wirkungen, die ein Medium auf Grund seiner Gebrauchsweisen
entwickelt - oder wie Günther Anders apodiktisch formulierte:
"Jedes Gerät ist bereits seine Verwendung" (Anm. 4).
Fatal ist daran aber, dass diese Eigendynamik sich zugleich als
menschlichen Intentionen folgend vermittelt.
Medieninstrumentalismus und mediale Selbststeuerung schließen
sich mithin nicht aus, sondern bedingen einander. Just dieser
Mechanismus lässt uns auf Medien so ambivalent reagieren, weil
sie sich selbst vermitteln können, ohne scheinbar menschliche
Zwecksetzungen zu hintertreiben. In dieser Ambivalenz reagieren
Medientheorien höchst unterschiedlich: Die Optionen reichen von
der These des naiven Medieninstrumentalismus über den spätaufklärerischen
Medienumgang bis hin zu unversöhnlicher Medienfeindlichkeit. Noch
ist dem keine Metatheorie beigekommen, weil alle Ansätze auf eine
jeweilige Medienpraxis verweisen können, ohne die disparaten Phänomene
in einen übergreifenden Verständnishorizont zu integrieren.
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Um auf den
Ausgangspunkt kommunikativer Medienwirkungen zurückzukommen:
Medien klären auf und verblenden, sie sagen die Wahrheit oder lügen,
je nach Perspektive. Dass sie das ohne Existenz- oder Identitätseinbußen
leisten können, macht sie kommunikativ effizienter als Menschen,
die sich zumindest vorübergehend auf diese oder jene Seite der
Wahrheit schlagen müssen, wenn sie kommunikativ erfolgreich sein
wollen. Nicht notwendig verschwindet das verstörte Subjekt daher
am Horizont des entfesselten Objekts (Anm.5), aber der Horizont
von Medien ist weiter gezogen als die kommunikative Perspektive
des Subjekts je entfaltet werden könnte. Medien sind also Kreter,
die uns in ihrer Selbstreferenz gerade darüber im Unklaren
lassen, was sie in ihrer Gesamtheit vermitteln, während wir
glauben, miteinander zu reden. Was bleibt, ist eine begründbare
Medienparanoia, die vielleicht zu der Hoffnung berechtigt, dass
Menschen wenigstens als kommunikative Störfälle auch in Zukunft
ein relatives Eigenleben entfalten.
Goedart
Palm
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Anmerkungen |
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[1] Lewis Mumford: Mythos der Maschine. Frankfurt am
Main 1980, S. 673 ff.
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[2] Pierre Bourdieu: Über das Fernsehen. Frankfurt am
Main 1998, S. 39 ff.
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[3] Lewis Mumford: Mythos der Maschine. Frankfurt am
Main 1980, S. 678.
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[4] Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Band
II. München 1980, S. 217
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[5] Vgl. etwa Jean Baudrillard: Die fatalen Strategien.
München 1991, S. 141 ff.
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Mensch+
Upgrade-Revolution für Homo sapiens
Verlag Heinz Heise
130 Seiten
D 8,90 Euro / A 9,90 Euro / CHF 16,50
Hier: Der
Mensch - ein biologisches Auslaufmodell?
Von der Anthropologie zu einer Technikphilosophie
Goedart Palm
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