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Von deutscher Abgründlichkeit

Ein Nachruf auf Erich Mielke

Spy versus SpyDeutsche Gründlichkeit ist ein Marken-, wenn nicht ein Kainszeichen. Es klebt nicht nur als unsichtbares Logo auf Behörden, Wirtschaftsunternehmen und auf dem Stirnbrett des deutschen Hausvaters, auch auf jenen schändlichsten Einrichtungen der deutschen Geschichte prangte es auf schmiedeeisernen Toren, die vor dem Abgrund stehen. Dass man an diesem Wesen genesen könne, glauben nicht einmal die Überlebenden.

Eine Ikone deutscher Gründlichkeit ist jetzt tot: Erich Mielke. 92 Jahre ist er alt geworden und er starb friedlich, so unfriedlich die Verhältnisse auch waren, die er anderen bereitete. Dieser Erich währte halt am längsten. Erich war staatlich beauftragter Berufsparanoiker mit weitreichendsten Handlungsbefugnissen. Inoffzielle eingerechnet verfügte er über 270.000 Mitarbeiter, die bis zum Körpergeruch der Dissidenten hin alles überwachten, was dem duftenden Paradies der Arbeitern und Bauern widerstrebte. Die größte Überwachungsarmada der Erde sammelte buchstäblich jeden Dreck und das nahm Big Brother Mielke wörtlich. Mielke war wissbegierig, ein praktischer Soziologe des Überwachungsterrors, nachdem er in seiner heißen Jugendzeit noch selbst Hand an die Gurgel des jeweiligen Klassenfeinds anlegte. Er adaptierte während des Sterbens der DDR Bonapartes Formel: „Die ersten 500 muss man niederkartätschen, der Rest läuft von selbst weg". Aber der Prenzlauer Berg war stärker als der asbesthaltige Palast der Republik und das Volk, das wir nicht sind, lief wenigstens diesmal nicht weg – und deswegen ist Kohl der Kanzler der deutschen Einheit und Mielke der Virus der deutsch-deutschen Zwietracht.

Dabei hat Mielkes preußische Ordnungsliebe viel geleistet, um die alte Unübersichtlichkeit durchschaubar zu machen und auch der Zukunft genug Gift zu verabreichen, um auch noch die bundesrepublikanische Gerichtsbarkeit auf lange Jahre zu unterhalten. Selbst der andere Erich wurde von ihm observiert, belastendes Material gegen den grauen Obersekretär Honecker gesammelt. Man kann ja nie wissen, ob man nicht auch den Klassenfreund eines Tages in die sozialistische Einheitspfanne hauen muss. Vermutlich hat Old Mielke auch eine Akte gegen sich selbst angelegt, preußischer Überwachungssinn kennt keine Grenzen, schon gar nicht die der Menschlichkeit oder bloß solche, die den Wahnsinn notdürftig vom Leben trennen. Gebracht hat es den schneidigen Sozialisten nichts, ihr Lebenswerk ist wie ihre Betonmauer zum Billigsouvenir am Brandenburger Tor zerbröckelt. Pech gehabt, kleiner Irrtum bei der Prophezeiung der Zukunft, die sich immer wieder einen Spaß daraus macht, den grottenolmblinden Sehern und allmächtigen Geschichtsinterpreten den Marsch in den Abgrund zu blasen.

Der arme Erich von Wandlitz. Das Elend von Mielke ist, dass er nicht einige Generationen später geboren wurde. Heute wäre er der Herr digitaler Datenspuren, der Großmeister der Cookies, der Dämon der Pretty Good Privacy. Echelon wäre das angemessene System für Erichs Begierde, in fremden Seelenräumen zu lustwandeln, um fremder Leut geheimste Gedanken aus jeder Seelenecke zu kratzen. Erich ist tot, seine Methoden sind obsolet, aber sein Geist schwebt über dem Netz der Netze. Es ist Zeit für eine gründliche Revision dieser Gründlichkeit, die uns alle zu wandelnden Röntgenaufnahmen der neuen digitalen Herrscher macht. So werden heute spider robots zu halbintelligenten Zauberlehrlingen der neuen Ausforschungsherrlichkeit, das Private wird jetzt zertrümmert wie die morschen Plattenbauten der sozialistischen Wohlfahrtshölle.

Wie sagte einst Erich anlässlich seines letzten Auftritts in der DDR-Volkskammer: „Ich liebe euch doch alle". Genau (Betonung auf „alle"). Das ist die fröstelnd machende Liebe der Herrscher zu ihren Unterworfenen, ohne die sie jedes Existenzrecht verlören, weil sie nur als Parasiten fremder Gefühle Nahrung finden. Solche Art verzehrender Liebe schwingt auch in den Savemoremoney-Herzen all derjenigen, die uns ewigen Reichtum durch E-commerce versprechen, wenn sie ihren eigenen meinen. Von der Gründlichkeit der Datenherrscher führt ein gerader Weg zur Abgründlichkeit der Verhältnisse, in der jeder user so viel wert ist wie seine ausspionierte Datengestalt – also gar nichts. E-rich oder E-commerce Seelenspione, das ist eine Sorte Menschheitsbeglücker, die alles, aber auch wirklich alles nur in jener Zukunft einlösen, die nie stattfinden wird, weil sich die Dämonen der Geschichte die Schenkel klopfen, wenn das Glück auf den St.Nimmerleins Tag verlegt wird. Fare well, Erich.

Goedart Palm

 

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Copyright. Dr. Goedart Palm 1998 - Stand: 01. Mai 2018.